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07. aug. 2013

Der "LaborBefund" Nr. 6 (August 2013) ist gedruckt und heute erschienen - und kann ab
sofort gekauft und gelesen werden - und ich bin mit 3 Texten dabei *ich freue mich*.

Der Herausgeber sucht übrigens (entsprechende) Texte: also bitte :-)  
www.laborbefund.jimdo.com

08. Juni 2013

3 meiner Texte 
sind im neuen LaborBefund gedruckt http://laborbefund.jimdo.com/  - Der auch mit Diagnosen von Roland Adelmann (Dortmund), Jürgen Ploog (Frankfurt a. M./Florida), Saskia Prüß (Hannover), Ní Gudíx (Berlin), Scardanelli, Marcus Mohr (Köln), Michael Köhn (Hitzacker/Elbe), Johannes Witek (Salzburg). Lyrik und Prosa über die Durchreise im Unterwegs, warum sich Aliens nie in Talkshows blicken lassen und Nacktklettern als Missverständnis. Voltaires Arschbacken finden auch Erwähnung. Wie gewohnt erstklassige Literatur aus der Wirklichkeit. Der Herausgeber sucht übrigens entsprechende Texte: also bitte :-) 


Auch NEU ab Juni 2013 auf dem Buchmarkt steht die Antho ''Zur Hölle ...''  mit meinem 'schlimmen' Kindermördertext ''Ihr werdet mich hassen... '' ----  Auszug: "Ich höre die hysterischen Forderungen der randalierenden Menschen, ihre Schreie: »Schwanz ab! Tötet den Kindermörder! Killt die Sau! Kastriert ihn. Hängt ihn auf ...!« Und ich habe Angst. Immer wieder. All die Jahre ... um mein Leben. Auch weil mein Puls rast wie irre, mir das Herz zum Hals heraus schlägt, die Prügel einer Riesenfaust meine Eingeweide schmerzen lassen; ich aufs Klo muss – mich einnässe – wie jetzt, als ich ein paar Tropfen Blut nicht halten kann, wie ich merke ... Hilfe ... ich muss hier weg. Hilfe!"

http://www.amazon.de/Zur-H%C3%B6lle-einfach-weitergehen-ebook/dp/B00D3R5TA8/ref=sr_1_10?s=books&ie=UTF8&qid=1370149672&sr=1-10

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Manche sagen, es sei Mai ... ich sage ... es ist ein Tag für eine Hausdurchsuchung bei mir wegen meiner Schreiberei an 'Ehrenmord' der wie die Faust aufs Auge passt...
Von wegen ’die Konsequenz des zweimal gescheiterten deutschen Griffs nach der Weltmacht’ wie der Hamburger Sinologe Yu-Chien Kuan, ein seit 1969 in Deutschland lebender Chinese mit deutscher Staatsbürgerschaft neulich bei Beckmann zu Helmut Schmidt meinte. - Nein, bei mir klingelt die Staatsmacht pünktlich nach Dienstbeginn morgens um 8:30, drei Mann hoch mit „ ...guten Morgen, - Müller, Schultze, Gramsch - und das hier ist Frau Meyer von der Kreisverwaltung, die ist als Zeugin dabei! - Und Sie sind der Herr?“
„Schon Recht! - Und was wollen Sie?“
„Wir haben einen Hausdurchsuchungsbeschluss!“ Zeigt ’Müller’ mir ein flatterweißes Teil, um es mir dann mit seinem Dienstausweis zu überreichen - und den Beschluss mit Stempel darauf als Doppel lässt, während die hinter ihm im Hauseingang stehenden Schultze und Gramsch ihre Ausweise in die Höhe halten; alles fast wie im Film.
„Und weswegen wollen Sie ...?“
„Nur soviel ... Sie schreiben an einem Buch mit dem Titel ’Ehrenmord’ ... und dazu ist uns eine Anzeige zugegangen ...“
„Wie ... zugegangen ...?“
„Mehr können wir Ihnen im Augenblick nicht sagen!“
„Können oder wollen?“
„Was wir Ihnen noch sagen KÖNNEN ist“, mischt sich der mit schief sitzendem Basecape Aufdruck Adidas stimmgewaltig ein, „dass zeitgleich Ihre Wohnung in Berlin durchsucht wird!“
„In Berlin?“
„Richtig! Und nun sollten Sie uns reinlassen!“
„Moment, ich sage nur noch meiner Frau, dass sie sich was überwerfen soll!“
„Das machen wir schon ...“
„Treten Sie sich wenigstens die Schuhe vernünftig ab!“
„Nun machen Sie schon Platz ... sonst ...!“ Doch zum Glück bellt (unser) 40 kg Hund im Hintergrund.
„Sonst ...?“

guten tag - 

heute - 19. Mai 2013  - habe ich nach 2 einstern/rezis die 2te 5 sterne rezi für 'Hinter dem Mond' erhalten, einer Knast- Beziehungs- Mord- Liebesgeschichte aus dem (meinem) wahren Leben, die nicht kalt lässt. Motto: "Kein Tier ist von sich aus böse, nur du und ich ..." http://www.amazon.de/Hinter-dem-Mond-ebook/dp/B00B65A41S/ref=sr_1_8?s=digital-text&ie=UTF8&qid=1359187009&sr=1-8

und auch mein roman 'Ehrenmord' darf stolz sein - und ist es auch - für eine 5 sterne- rezi von einer 'nicht ganz unbekannten' autorin, einer lieben kollegin, die ihren eigenen kopf hat und keine gefallen rezi/s schreibt, da könnt ihr absolut sicher sein! - mein autoren hinweis: Cornelia sonnt und joggt z.zt. ganz weit im süden tagsüber am strand - und schreibt nachts. - rezi- auszug: ""Dieses Buch haut einen um. Michael Köhn jongliert mit der Sprache wie ein Artist mit brennenden Fackeln. Er rotzt, speit, würgt, kotzt die Worte und Sätze hervor wie Salven aus einem Maschinengewehr."" weiter geht es unter ---->
http://www.amazon.de/Sonne-an-Halbmond-Ehrenmord-ebook/dp/B00B0IR7D4/ref=la_B001K1G82W_1_2?ie=UTF8&qid=1364899459&sr=1-2

Auch der LaborBefund Nr. 2 ist in print erschienen - von mir ist dort eine begegnung mit Wolfgang Hilbig gedruckt (einem deutschen dichter und schriftsteller), der kurz nach unserem treffen mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeicnet wurde; also bitte: (bin ich ein glücksbringer?!) ;-)   http://laborbefund.jimdo.com/

wer um die welt reisen will, sollte mit dem ersten schritt bei sich anfangen
oder: die liebe zu Effie bringt Pierre in der knast, die show beginnt ...
großartig liest Sven Mathias 'Aufgelaufen' ... einfach mal reinhören!

https://www.sofortwelten.de/produkt-detail?produkt=3569199

der verleger meiner Romane ’Aufgelaufen’ und ’Hinter dem Mond’ (erschienen im LaGrand- Projekt - die amazon- links dazu findet man weiter unten!) führte ein interview mit mir. - gut, meine stimme hört sich an als hätte ich blech gefressen: ansonsten habe ich mich am thema in mich verliebt ;-) - zu hören hier:
http://www.youtube.com/watch?feature=endscreen&NR=1&v=BhjCbkJiauM

und - der LaborBefund ist da - oder anders: jetzt sehen wir mal, ob die fruchtblase gut gefüllt ist ...
oder noch anders: Andreas hat flausen im kopf und eine neue literaturzeitschrift gegründet und als LaborBefund geprintet *freudepur*
LaborBefund ist aber nicht nur käuflich - nein, man kann dem engagierten Andreas auch eigene beiträge dafür anbieten - um aber zu wissen was er nimmt und druckt, sollte man zumindest ein exemplar LaborBefund kaufen. fazit: wer gedruckt werden will - sollte den LaborBefund probe kaufen
es lohnt sich, wetten?  http://laborbefund.jimdo.com/

zudem ist mein roman ’Hinter dem Mond’ ein 'antikes' drama um liebe, leidenschaft, macht und ... am 13. febr. 2013 bei amazon (im LaGrand Verlag) als taschenbuch erschienen - eine rezensionsstimme dazu:
'Hinter dem Mond' - Kantiger Thriller von Michael Köhn … niveaulos, dreckig, verstörend, hasserfüllt, brutal, selbstzerstörerisch, hinhaltend, bis ins letzte Neuron fordernd und ins Mark schmerzhaft. Gut und teilweise ziemlich hart geschriebener “Cut-Up” Roman (die Szenen sind wie in einer Collage arrangiert), ein wenig Knast-Roman, ein wenig Autobiographie. Kein “glatter Mainstream”, das verspricht und hält der Autor Michael Köhn (geb. 1942): er lotet “die Tiefgründe im Menschen aus”. Liest sich gut; keine einfache Unterhaltungskost. (1/5,0) (323 Normseiten, 0,99 €)

http://www.amazon.de/Hinter-dem-Mond-Sapona-Design/dp/1481958224/ref=sr_1_cc_1?s=aps&ie=UTF8&qid=1360743081&sr=1-1-catcorr

der verleger schreibt dazu:
""Er ist der Schließer, den es amüsiert, seine lesenden Häftlinge in jedem Absatz aufs Neue mit dem langen Stiel der Wahrheit zu vergewaltigen. Vielmehr noch ist „Hinter dem Mond“ ein behindertes Kind - ungewollt, und dennoch groß gezogen mit all der Liebe ... Dieses Werk wurde geschrieben, um des Schreibens willen."" - und ich unterschreibe das ;-)
andererseits ist 'Hinter dem Mond' eine abrechnung. eine ménage-à-trois ..., zu der sich ein häftling 'gesellt', - der die frau des knastschließers Lanz vergewaltigt ... und Lanz dann auf rache sinnt; die er auf teuflische art und weise vollzieht. - 'Hinter dem Mond' ist also auch ein 'antikes' drama um liebe, leidenschaft, macht und ... es werden einblicke in die 'grausame' welt hinter gittern geschildert (und wer dort noch nicht war wird beten, nie dahin zu kommen und 'irgendwelchen' sadistischen schlägern ausgeliefert zu sein - wie auch immer). denn, ja, einer ist immer der loser. oder zwei. oder alle ... wer weiß. 

ISBN 13: 9781481958226
ISBN 10: 1481958224


nachtrag:
gut, überredete ;-) - ich 'verschenke' unter den ersten fünf bei amazon zu 'Hinter dem Mond' erscheinenden rezensionen (mindestens fünf komplette sätze in dt. sprache sind erforderlich) unabhängig der stern(be)wertung per würfelentscheid meinen absoluten privatdruck (neu - ich habe 3 davon) von 'Horrors Einsamkeit', einem vorläufer zu 'Aspergers- Tage- Buch- Auszüge 2012' (als e-book steht dieser text auch bei amazon ein) und den dann, wenn es sein muss, auch sehr gerne mit widmung ;-) 
neu auch 'Mit Anlauf in Vanessa - Erste sexuelle Erfahrungen eines Haltlosen' bei amazon kindle; die presse schreibt dazu: “Von Michael Köhn ist unsere zweite Empfehlung. "Mit Anlauf in Vanessa - Erste sexuelle Erfahrungen eines Haltlosen" beantwortet die Frage, ob eine ältere Frau mit einem jüngeren Mann glücklich werden kann. Das verspricht einigen Zündstoff und gut geschilderte Erfahrungen. Lassen sie sich nicht von dem etwas plumpen Cover abschrecken, auch wenn es Sie vielleicht an den Döner- Verkäufer drei Straßen weiter erinnert. Wagen Sie sich ruhig und klicken Sie darauf, es wird Sie direkt zum entsprechend kostenlosen Angebot bei amazon bringen.“ 
Bei Amazon, als Kindle für ein paar Cent, steht ab 01.01.2013 mein 'Mit Anlauf in Vanessa - Erste sexuelle Erfahrungen eines Haltlosen' - (m)ein Schreibwerk mit 'fuck'n' autobiographischen Einschüben!
http://www.amazon.de/gp/product/B00AVKSWFO/ref=cm_sw_r_tw_alp_sg84qb15GVW5M 

Mein 'Road Movie' Aufgelaufen steht bei Amazon auch als Print http://www.amazon.de/Aufgelaufen-ebook/dp/B00857SQW4/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1353338120&sr=1-2

Aktuell: Hier die Hörprobe zu Aufgelaufen , - da macht der Ton die Musik! Doch die 'Musik' ist nichts für schwache Nerven http://my-5-minute-ebook.blogspot.de/2012/11/aufgelaufen-michael-kohn-sven-matthias.html 

200 Seiten E-Book --->  http://www.amazon.de/Aspergers--Tage--Buch--Ausz%C3%BCge-ebook/dp/B00ABAXET8/ref=sr_1_9?s=books&ie=UTF8&qid=1353590331&sr=1-9

"Jimmi Asperger wurde in dem Moment geboren, als sein Großvater den Steckkasten mit Faltern aus Südamerika öffnete, sich dabei eine Nadel in die Hand stach, erschreckt darüber einen halben Schritt nach hinten trat, an der Teppichkante mit den Schlappen verhakte, hintenüber stürzte, seinen Kopf auf die eiserne Kohlenschütte am Ofen aufschlug - und starb." 



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Hier geht es nun mit  'Ehrenmord'  'Sonne an Halbmond' (Romanauszug) weiter: Stand

03. Juni 2013

Exposé 

Bei einem Überfall zum Krüppel geprügelt, ist der Musikstudent Felix auf der Suche nach dem Täter. Er bewegt sich dazu in der Migrantenszene von Neukölln, Kreuzberg und Wedding -, fragt nach einem Typen Namens Hassan, der ihn überfallen haben soll..

Felix trifft auf die magersüchtige Lana, eine Schwester von Hassan, wie sich herausstellt - und verliebt sich unsterblich in sie. Auch hat er auf seiner Suche in öffentlichen Bussen und Bahnen quer durch Berlin einige bedrohliche Situationen zu überstehen. Er denkt dabei an seinen Vater, der als Staatsanwalt am Landgericht Berlin tätig ist und als Leiter der Intensivtäterabteilung der Generalstaatsanwaltschaft abgesetzt wurde, weil er öffentlich zu Intensivtätern mit Migrationshintergrund Stellung bezogen hat.
Felix hofft auf Besserung des Gesundheitszustandes seiner Mutter, die sich wegen eines Nervenzusammenbruchs in der Psychiatrie befindet. Und er hasst den Großvater, der an Mutters Verfassung Schuld trägt, - der Richter mit NSDAP Parteibuch war und nach dem Krieg deswegen in Haft saß.
Wegen seiner Behinderungen, seinen Gedanken um Schuld und Nichtschuld, die Geschehen um ihm herum und nicht zuletzt wegen der ’verbotenen’ Liebe zur Schwester von Hassan - Lana - in Rotation, entgleitet ihm mehr und mehr die selbst bestimmte Handlung, wird die Suche nach dem Täter zwangsbestimmt, ist sein Leben ein Desaster.
Lana wird wegen der Beziehung zu Felix Opfer Ihres Bruders, ihrer Familie. - ’Ehrenmord’, schreiben die Zeitungen. Felix steht nicht nur deshalb unter Handlungszwang, denn er gerät über den Tod von Lana in eine Sinnkrise, erfährt von seiner debilen Mutter, das sein wahrer Erzeuger der Großvater ist, der sie vergewaltigt hat und dass sie deshalb unter Depressionen leidet.
Enttäuscht sagt sich Felix nach einer Aussprache von seinem Vater los und lässt sich mit den Verbündeten des Großvaters ein, die ihm versprechen den Schuldigen an Lanas Tod zu finden.
Er wird daraufhin Mitglied der Rechtsextremen NDPD des Großvaters - und macht dort Karriere.
Bei einem Parteitag erfährt er vom Suizid seines Vaters. Auf dessen Beerdigung lernt er Doro kennen, eine jüdische Aktivistin, die ihm helfen will sein Leben in den Griff zu bekommen.
Als er erfährt Vater eines Kindes mit Lana zu sein, gerät sein Leben erneut aus den Fugen.


Sonne an Halbmond
(Ehrenmord)
Roman/Auszüge  

’Ich hoffe nur, dass irgend jemand soviel Vernunft hat, mich einfach in den Fluss zu werfen, wenn ich einmal wirklich sterbe. Mir ist alles recht, nur nicht ein gottverfluchter Friedhof.’
“Der Fänger im Roggen“ J. D. Salinger

*
Mit dem ’L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato’ von Händel auf den Ohren rumpelt Felix gegen Mittag irgendeinen Tages mit vielleicht zwei Dutzend anderen Losern Richtung Kottbusser Tor.

Mit gebeugtem Kopf, krummen Rücken, die Füße schräg unter den Sitz geklemmt hockt er auf der Ecke eines zerschrammten Exemplars aus Kunststoff das zudem mit allerlei Ausschlag von grellbunten Filzstiftzeichen und undefinierbaren Flecken besudelte ist. Doch nicht weil das Gros im Waggon ähnlich verschandelt aussieht und eventuell Keime absondert sitzt er, als müsse er kacken oder wollte gleich aufstehen - nein, er kann nicht anders, - er leidet unter körperlichen Missempfindungen und höllischen Schmerzen, die seinen Körper zerstören wollen als wären Ratten an seinen Knochen zugange. - Außerdem ekelt er sich vor dem säuischen Stück Dreck von U-Bahnsitz nicht wirklich, - solche Utensilien gehören seit einigen Monaten zu seinem Dasein. Genau wie der graue Leinenbeutel mit der Aufschrift ’Reichelt’, der auf seinem Schoß liegt, den er augenblicklich mit beiden Händen darauf absichert. In dem er ein Buch, seinen Player, Schlüssel, nötige Tabletten, einige Tempotücher und anderes Zeug transportiert - auch eine 9 mm Pistole, Les Bear, Magazin doppelreihig. Und die nicht grundlos. Denn er sucht nach seinem Peiniger. Dem Schläger Hassan. Und genau deshalb ist er seit Wochen auf der Linie U1 unterwegs und nicht etwa, um den Erfolg des gleichnamigen Musicals vom Grips Theater zu ergründen. No way! - Denn über das Musical hat er schon vor Monaten im Rahmen einer Vorprüfung zum Dirigenten vor dem Auditorium der Musikhochschule referiert. So weit dazu. Denn jetzt sitzt er vier Typen gegenüber, die tragen Jeans zu offenen Basketballschuhen, schwarze T-Shirts mit dem Aufdruck R 44 darauf und sehen mit finsterer Miene zu ihm rüber. Leider ist Hassan nicht dabei. Dann, wie auf Kommando, rucken die Typen plötzlich an als wollten sie aufstehen und auf ihn zu, lachen laut, ziehen die Kapuzen fester. Eine Drohgebärde, denkt Felix, zur Einschüchterung, wie im Urwald die Gorillas. Weiter hinten im Waggon drehen sich zwei junge Mädchen, die aussehen wie Kleinkinder, in schweinchenrosa Anoraks umeinander und lassen die blau getönten Haare fliegen. Dazu singen sie schrill und in fremder Sprache. Felix dreht den Player lauter.

Der Zug stoppt mit kreischenden Bremsen. Die Typen mit den Basketballschuhen steigen aus. Drei stark geschminkte Frauen lassen sich auf die Sitzbank gegenüber fallen. - Die Bank muss noch warm sein, denkt er. Eine der jungen Frauen ruft in Richtung der anderen: „Ey, du stinkst, Alte! Hast du Alkohol getrunken, - du Schwein?!“ Die drei lachen. Ein Mann sagt „Nutten!“ - Zwei seiner Kumpel verfolgen das Geschehen gespannt. „Ey, Alter, ich fick deine Mutter!“, brüllt die Wortführerin den Mann an. Stille im Wagen, alle schauen zu. - Als die Bahn anfährt, sieht er am Ende des Bahnsteigs einen wie Hassan, der die Typen mit den Basketballschuhen begrüßt. Mist!, zum Aussteigen ist es zu spät. - Der Mann, der eben Nutten gesagt hat, steht auf und geht auf die Mädchen zu.
„Bleib mal locker, Alter!“, kreischt eine. Doch nichts. Der Mann hat einen roten Kopf -, starr sind seine Augen. Er scheint explodieren zu wollen.
„Lass sie in Ruhe“, flehen die Freundinnen des Mädchen. 

Die Bahn rumpelt in den Bahnhof Möckernbrücke ein. Kurz nach dem Halt öffnen sich die Waggontüren, obwohl niemand aussteigen will. Auf den Punkt mit dem grellen Warnsignal, das die Abfahrt des Zuges ankündigt, steigen zwei Glatzen pro Tür ein. „Los, die Ausweise!, ihr Penner!“, befiehlt einer von denen, kaum im Wagen. „ ...ey, nun macht schon ...!“
„Mit mir nicht!“, brüllt ein Mädchen, „ihr Nazischweine“, und wirft die Haare zurück, - ihre Augen sind aufgerissen. Und sie schubst ihn weg, als sich einer der Glatzen mit einen Baseballschläger in der Hand vor ihr aufbaut und den drohend hebt. - „Lass mich ja zufrieden, du Arsch“, sagt sie mit Zittern in der Stimme. Empörung arbeitet in ihrer Miene.
„Du blöde Türkenfotze!“ sagt die Glatze, „halt das Maul - und zeig deinen Ausweis!“ Niemand der Fahrgäste lacht ob der Beschimpfung ’Türkenfotze’. Lediglich eine zweite junge Frau hält die erste mit Zischlauten zurück. - Sekunden später stehen zwei dunkelhäutige Männer auf; steht hier doch die tiefe Beleidigung gegen das Gesetz, eine Frau zu schlagen ... Doch die Glatze schlägt das Mädchen nicht, - wendet sich den beiden Männern zu. „Ey, was wollt ihr Kanaken? ... in die Fresse?“
Einer der beiden dunkelhäutigen lacht gequält.
„Jetzt mach mal ruhig, wir wollen nur aussteigen!“
„Ey, der kann sogar deutsch!“, lästert die Glatze zu seinen Kumpeln.
„Hau ihm eine rein, damit er’s verlernt - und quatsch nicht soviel!“ kommt der Rat.
„Ich bin ’Deutscher’ wie ihr“, hält der Mann dagegen.
„Du siehst aber aus wie ein scheiß - scheiß - scheiß Nigger, Alter!“
„Ich bin hier geboren.“
„Im Balkanexpress?“
„Nein, ich ...“
„Mann -, mach doch die schwarze Sau endlich platt, Ingo!“

Es geht nicht anders, er muss hier raus - greift in den Leinenbeutel, klammert dort die Hand um den Griff der Pistole, den Finger am Abzug.
„Wo willst du denn hin, Söhnchen?“ fragt eine der Glatzen, als er aufstehen will.
„Aussteigen!“
„Ach -, gehörst wohl zu den Niggern da?“
„Nein. Ich wohne hier um die Ecke“, lügt er.
„Zeig mal deinen Ausweis!“
„Hab keinen.“
„Du bist doch ’Deutscher’, Söhnchen?“
„Ja.“
„Und hast keinen Ausweis?“
„Doch. Aber nicht dabei.“
„In diesen schlimmen Zeiten muss jeder seinen Ausweis dabei haben!“
„Hab ich aber nicht. - Und nun lass mich aussteigen.“
„Du bleibst - und zeigst jetzt den Ausweis!“
„Gut, wenn es sein muss.“
„Na siehste...“ - Felix schießt aus dem Sitzen heraus und durch den Beutel hindurch in die Wagendecke. Es kracht, qualmt und splittert, alles schreit. Die Glatzen springen im Dreieck - rotten sich dann in einer Ecke zusammen. Felix steht auf, hält den Leinensack mit der Waffe darin gegen sie und steigt aus - und, er versucht, beim Davonlaufen nicht zu hinken.

„Haltet das Schwein!“ grölt jemand hinter ihm her, „ ... der Irre hat geschossen ...“ Doch niemand stellt sich ihm in den Weg. Und das weitere Geschrei hinter ihm her verliert sich im Bahnhof. - Meter vor der Treppe nach unten zieht er einen Flachmann aus der Jackentasche und trinkt im Gehen daraus. Steckt dann die Flasche in den Beutel mit der Pistole. Das Loch im Beutel ist unbedeutend. Lediglich ein schwarzer Kreis ist zu sehen und es riecht ein wenig nach verbranntem Stoff, nach Schwefel oder Phosphor.

Als er auf der Straße steht, atmet er tief durch. Zieht Sauerstoff. Hustet. Sieht einen Mann in einer Abfalltonne stöbern. Hört Kinder johlen. Qualm kräuselt aus dem Auspuff eines abfahrbereiten Bus an der nahen Haltestelle. Felix läuft hin und steigt ein, ohne zu wissen wohin der fährt. Nur weg von hier, denkt er. - Kaum dass er sitzt schließt sich die Tür zischend hinter ihm, der Bus ruckt an. Felix drückt sich tief in den Sitz.
„Nächste Station ...“ - Felix hört Skalitzer Straße, schaut nach vorne, und sieht in Front das Schild in Spiegelschrift. Er ahnt, bis wohin der Bus fährt: Hermannplatz: Endstation. Es bleibt für eine Entscheidung ’wohin’ also noch Zeit.


*
Ihm gegenüber sitzt einer in Armeejacke, der unter dem rechten Auge mit einem farbigen Herz tätowiert ist, der Speichelfäden aus dem Mund sabbert und die auf den Boden gleiten lässt. Der Typ trifft im zweiten Versuch voll seinen Schuh und wischt dann dessen Spitze am Hosenbein ab; den anderen ebenso. Dann geht ihm wohl die Spucke aus, denn er beginnt in der Nase zu bohren - bis Blut kommt.
Das Mädchen und der Junge Felix schräg gegenüber tragen Ohrstöpsel. Beide zucken mit den Beinen. Die Musik ist im Rhythmus so laut, dass sie bis zu ihm dringt. Suicid, heißt der Titel. Er weiß es, er hat die DVD, kennt den Soundtrack. Und Suizid wäre überhaupt eine Möglichkeit, - bleibt immer ein Thema. Das Mädchen gibt dem Jungen einen Kuss. Dann singt sie fast lautlos ... Ein Handy klingelt. - Das Mädchen singt gedankenverloren weiter vor sich hin. Der Junge zieht die Ohrstöpsel, und greift nach dem Apparat in ihrer Kapuze.
Der Junge lacht ins Handy, sagt dann etwas, das klingt wie: ’Ich treffe jetzt Hassan!’ - Und eventuell ist es genau der Hassan, den er sucht. Also wird er ihm nachgehen.
„U-Bahnhof Hermannplatz! - Alles aussteigen!“

Der Junge und das Mädchen knutschen sich Richtung Straße. Felix bleibt dicht hinter ihnen. Vor dem Kaufhaus C&A drängen Frauen mit Kopftuch. In der Hand große Windelpackungen. Auf ihren Einkaufskörben schaukeln Tetrapacks. Felix tritt voll auf eine Handyoberschale aus Plastik, dass es laut kracht. Niemanden interessiert das. Weiße Tütchen wechseln am Imbiss an der Ecke den Besitzer. Drogen?
Mit wichtiger Miene stehen zwei Polizisten in der Nähe. Ein Hund pinkelt unweit an den Fahrradständer mit Schrott auf platten Reifen. - Felix behält den Jungen im Auge, der Hassan treffen will. Der kramt in seiner Jackentasche, scheint ratlos, bleibt mit seiner Freundin darauf hin stehen, fragt sie etwas. Sie nickt, und zieht eine Schachtel aus ihrer Tasche. Sie stecken sich eine an, rauchen, küssen sich, blasen Ringe aus. Beide lachen, und gehen Arm in Arm zu einer Haltestelle.
Ein Bus kommt. Das Mädchen lässt die Zigarette fallen, steigt ein. Der Junge winkt - und geht. Felix hinterher. - Vor einem Fotofix-Automaten in der Mitte des Platzes bleibt der Junge stehen. Ein paar Beine sieht man unter dem Vorhang. Schuhe. Von drinnen hört man kichern. Eine Frauenstimme sagt etwas wie ’total bescheuert, Alter’. Plötzlich ein Lautsprecher: „Achtung, hier spricht die Polizei ...!“ Ein Hund bellt dazwischen. Ein Zweiter mischt sich ein. Eine heisere Stimme befiehlt: „Schnauze! Ihr Köter!“

„Bist du zu Hause?“, blafft einer direkt neben ihm ins Handy. - Mit wem der wohl spricht? Mit Hassan? Eher wohl nicht. - Er folgt dem Jungen, der ein paar Meter Vorsprung hat. - Es geht in Richtung eines Imbiss am anderen Ende das Platzes. ’Ögan’, steht an dessen Front. Daneben die Aufschrift ’Dolce &amp - Gabbana’. Beim Näher kommen sieht er, dass es sich um zwei verschiedene Läden handelt. Der Junge betritt den Imbiss.
Felix ist unschlüssig, bleibt vor dem Laden stehen. Bei seinem Blick durch die Fensterscheibe sieht er einen Fleischspieß hängen. Einem vermutlich in Tagen abgehangenem Fetzen, auf den schon die Würmer schielen. - In der Auslage vom Laden auf einem roten Tuch vergammelte Salatreste. Grün schimmernd sowas wie Dressing daneben. - Asthmatisch quietscht eine rostige Fahnenstange mit brüchigem Tuch daran im Wind. ’Heute frische Wurst’ steht auf dem Fetzen. - Im Laden ist niemand zu sehen. Und Felix grübelt, wohin der Junge verschwunden sein könnte.

Die Ladentür klemmt. Das Holz riecht faulig und die Farbe blättert wie von selber ab. Er drückt die Tür mit Gewalt auf und tritt ein. - Rapp hört man aus dem Hintergrund. Dann Tarkan: ’Wo bist du - mein Sonnenlicht’.
„Cool, wa?“, steppt eine etwa siebzehnjährige in Ringelstrümpfen durch die Hintertür.
„Ja, voll cool.“
„Was willst n?“
„Cola.“
„Essen nich?“
„Ne, hab’s am Magen!“
„Hier, - det is jut dajejen, dit hilft“, hält sie ihm in Öl eingelegte Knoblauchzehen entgegen.
„Lass mal lieber.“

Eine cirka sechzigjährige Frau mit Kopftuch und Kunstpelzjacke über Rock mit gemusterter Hose ohne Bügelfalten schiebt sich durch die Tür.
„Der will nich ma wat essen, Oma“, sagt das Mädchen.
Die Alte antwortet wohl auf türkisch, rülpst, furzt, oder so, und verlässt den Laden durch die Vordertür. Die Tür öffnet sie ohne Anstrengung.
„Isse nich süß?“ fragt ihn das Mädchen.
„Hör mal, ich muss dringend aufs Klo,“ lässt er die Frage unbeantwortet, denkt daran, dass er das Fentanylpflaster auf seiner Pobacke erneuern muss, bevor der Truthahn durchbricht und ihm der Schmerz Schweiß auf die Stirn treibt.
Das Girl winkt lässig: „Nimm ma da hinten die rechte Tür!“
Als er die Klinke drückt, schreit sie plötzlich: „Ey, du blöder Idiot, die rechte!“
„Ist doch die rechte ...“
„Ich meinte aber die daaa ...!“
„Das ist die linke.“
„Die mein ich aber ...!“
Logik, denkt er, weibliche Logik. Und bekommt im Umdrehen eine Türklinke ins Kreuz.
„Was willst n?“ fragt ein Typ mit eitergelbem Ausschlag im Gesicht und baut sich vor ihm auf.
„Pinkeln“, sagt er.
„Musste da hin“, sagt der, „hier ist Zocken!“
„Zocken?, aha. Sag mal, ist Hassan auch da?“
„Was willst n von dem?“
„Der bekommt noch was von mir!“
„Was n?“
„Er hat mir was geliehen, und das bekommt er zurück.“
„Das wird ihn freuen. Warte, Alter, ich hol ihn ...“

Während des warten wird er nervös, lässt den Leinensack mit der Pistole darin von einer Hand in die andere wandern, während die Dönerbude zur Vampirhölle mit Spinnweben an den Wänden wird aus denen Ozzy Ozborn ’fuck the black rain’ schreit, dass seine Haare wirbeln, eine fette Kröte frisst und dazu teuflische Fratzen schneidet ... Scheiße, muss am Schmerzmittelentzug liegen, denkt er, als ihm einer mit: „Ey, ich bin Hassan, was n los, blödes Arschloch?“, in den Hintern tritt.
„Ich kenne dich nicht!“, antwortet er dem.
„Ey, du Fotze, duuu wolltest doch was von miiir...“
„Tut mir leid, ich habe dich verwechselt. Kann ja mal vorkommen.“
„Biste Bulle?“
„Nein. Bin ich nicht.“
„Dann verpiss dich, Motherfucker, bevor ich dir die Eier abschneide!“
„Ich muss aber vorher noch mal aufs Klo ...“
„Ey, Lana, hat die Fotze bezahlt?“
„Ne, noch nich, Hassan.“
„Los, mach - und dann verpisst du dich aber!“
Und Felix macht, während ihm bewusst wird, dass die ihm eben noch Angst machende Vampirhölle und Ozzy Ozborn nur aufgeklebte Filmwerbung ist und Hassan eine kakifarbene Armeehose an hat.
„Ja - ja, schon gut.“
Draußen überlegt er, was er getan hätte, wenn es der richtige Hassan gewesen wäre. - Ob er geschossen hätte, und wenn ja - wohin?
Dazu bekommt er Hunger, -sieht gegenüber Burger King. Genau richtig, rohes Fleisch braucht der Mensch um roh zu sein. Und wenn er es nicht schon ist, dann wird es Zeit.

Im Laden wird Türkisch, Arabisch, Russisch, Polnisch und Vietnamesisch gesprochen. Wenig Englisch, etwas Deutsch. Hamburger sagen können alle. Und die sehr blonden Frisuren unter den Kappen hinter der Theke verstehen es. Die sind so schön wie frische Orangen, Bananen und Limonen. Eine Insel aus Reinheit und Obst, Fleisch von glücklichen Rindern - und hellem Licht in einer fremden, dunklen Welt. Und das genau auf der Grenze von Neukölln Berlin zu Berlin Kreuzberg. - Dieses Idyll stören nur die beiden kahl geschorenen Jugendlichen mit Bierflasche in der Hand, Kippe im Mund, Hund bei Fuß vor der Tür, und deren Schnorrerei an jeden. „Ey, Alter, haste ma n Euro?“ Und wenn derjenige nichts gibt, ihr empörter Ruf: „ ... fick dich ins Knie, du blöde Sau!“
Eigentlich egal, jeder ist hier eine Art Hassan, ob Türke, Deutscher, sonst was. Und ohne etwas bestellt zu haben verlässt er den Laden.
Vor der Tür kommt wie erwartet „Ey, Alter, haste ma n Euro?“
„Nein!“, sagt er im vorübergehen.
„Ey, fick dich ins Knie, du blöde Sau, - ich hetz den Hund auf dich, du scheiß Krüppel!“ Felix dreht sich um, geht die zwei oder drei Schritte zurück, und schießt in die Luft. Einer der beiden schreit. Der Hund jault. Der andere Typ sagt nichts. Von weitem hört man einen Presslufthammer knattern. Eine Straßenbahn quietscht in der Kurve. - Quietschgeräusche nerven ihn. Hundejaulen nicht so. Menschen immer, egal was sie lassen oder tun. Doch das war nicht immer so.

Die grelle Sonne hinter seinem erblindeten Auge ist erloschen. Das Kreischen in den Ohren verstummt. Sein Atem geht flach, fast geräuschlos. Das Herz schlägt regelmäßig. Auch sein Magen hat sich beruhigt, krampft nicht mehr. Und genau das ist es, was er erreichen will: Frieden - und Ruhe in sich, die Mitte finden und die auch sein. Nicht Rache, wie später in der Zeitung als Motiv geschrieben steht und der Staatsanwalt aus der Anklageschrift vorlesen wird: ’Wer ein Dum - Dum Geschoss verwendet, will auch töten ...!’, und diesen Scheiß somit auch öffentlich macht. Nun, es ist zwar richtig, er hat die Geschossspitzen der Wirkung wegen eingekerbt, - was sollte auch sonst der ganze Aufriss? - So geht er weiter. Seine Schritte sind abgestimmt und ruhig wie immer, wenn er versucht nicht zu hinken.
An der nächsten Haltstelle steigt er in den Bus Richtung Kottbusser Tor, denn er will dort am Kotti, und in den Kneipen drum herum, nach Hassan suchen - und den auch finden, bevor der nächste Anfall ihn voll in die Bredouille setzt.

Felix sitzt in der letzten Reihe im Bus. Genau in der Mitte, wo man die Beine in den Gang ausstrecken kann und beobachtet einen blonden Jungen, so um die fünfzehn, der am Mittelausgang mit dem Gesicht zu ihm sitzt, - und er weiß, was kommt, als drei als Gangsta-Rapper verkleidete Typen einsteigen.
„Mach Platz, du Schweinekartoffel!“ brüllt einer von denen schon von der Tür her den Jungen an.
„Was denkst du, wer du bist, du schwule Sau?“, pöbelt ein anderer. Der Junge sagt nichts, blickt auf den Boden. „Ey, du hast Schiss vor uns, wa?!“
„Lasst mich zufrieden und macht euch vom Acker -, ich habe keine Angst vor Typen wie euch ...“
„Dann wehr dich, sonst ist Jackpot, du scheiß deutsche Kartoffel!“
’Ja, du bist ein Opfer! Kein Player, kein Rapper, kein Mann ...’, wimmert es laut aus dem Ohrhörer“, als der Junge, wohl weil er nicht reagiert, eine Schelle fängt. „Ey, mach ihn platt, Serkan -, hat er wenigstens gelernt, dass er hier nicht rumlaufen soll.“ ... und er muss raus, im gleichen Moment, weg von hier und zwar schnell, egal was aus dem blonden Jungen wird. - Und es scheint, so denkt er nicht alleine, denn der Bus leert sich an der nächsten Haltestelle, als hätte jemand Buttersäure verspritzt. - Doch dann steht er wie angewachsen, steigt nicht aus, denn genau in diesem Moment begegnet ihm die Liebe in Form des Mädchens mit den Ringelstrümpfen wieder, die mit Tarkan auf dem Ohr ’Wo bist du - mein Sonnenlicht’ in den Bus rappt.
„Ey, du, voll cool, dass wir uns wieder treffen, wa?“
„Ja, das ist es“, sagt er in den Himmel voller Gewalt, zwischen Gangsta- Rapp und Tarkans Sonnenlicht.
„Wo willst n hin?“
„Zum Kotti.“
„Und wat da?“
„Ich suche Hassan.“
„Voll cool, ey, - mein Bruder heißt so ...“
„Und der im Laden?“
„War mein Onkel!“
„Ach so ... Und warum alle Hassan?“
„Wir sind ausm Libanon, weißte. Von Nasrallah, Hisbollah, weißte?!“
„Nee, weiß ich nich ...“
Und dann: „Ey, ihr Schwanzlutscher, gebt mal Ruhe!“ zu den Rappern hin, die den blonden Jungen peinigen, „sonst ...“
„Is schon juti, Lana! ... und grüß deinen Onkel ... Salam aleikum“
„Okay, mach ich, Serkan! Aleikum Salam.“
„Siehste, geht doch!“ ist Lana stolz, und versucht ihm durch seine Brille hindurch voll ins Herz zu schauen, - so kommt es ihm vor.
’Kottbusser Tor’, quäkt es aus dem Lautsprecher. „Ey, komm, aussteigen, wir sind da! Sag mal, wie heißt du eigentlich?“
„Felix. Felix Rausch.“
„Ah ... Felix, - du bist also doppelt glücklich?“
„Mal sehen.“
„Nein, nicht glücklich? Suchst du deshalb nach Hassan?“
„Nein, ich suche nach meiner Freiheit ...“
„Was meinst n damit?“
„Kennst du den Film ’Grizzly Man’, von dem Typen der zum Bär werden wollte, um mit den Bären zu leben?“
„Ne, kenn ich nicht!“
„Ist auch besser so, - denn die Bären haben den Mann getötet und aufgefressen.“
„Das ist aber schlimm.“
„Ach, es ist die Natur der Dinge, - das Überleben - über alles.“
„Ja, wenn man Hunger hat ...“
Er will ihre Antwort kapieren, die sich als intelligent kolportieren. Doch es fehlt ihm der Sinn, also scheitert er - und fragt sich sogleich warum. Denn es ist alles eins, oder scheint so, scheint, dass das Suchen nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit ihm Nerven, Sehnen, Herz, Hirn und die blutende Seele frei legt. Und seine überirdischen Gefühle für sie. Lana! - Wenn er könnte, würde er sich ihren Namen auf den Unterarm tätowieren lassen, oder gleich mitten ins Herz. - Es ist also so - verliebt sein, Liebe - oder was? Wenn ja: woher kommt die - entspringt die seinem zerstörten Körper, der explosiven Wucht seiner Rachegedanken, der längst abgewickelten Welt um sich herum: Liebe statt Hass? Frieden anstelle von Krieg? Leben als Ersatz für den Tod, Herzenswärme im Miteinander - das sowieso? Nein - nein, es gibt kein Nachhausekommen in die Normalität für ihn. Nicht jetzt. Und wohl nie mehr.
„Ich mag dich“, sagt sie direkt in seine apokalyptische Resteverwertung und setzt nach: „... irgendwie ...“, und füllt damit eines der vielen kleinen schwarzen Löcher in seiner Seele, scheint es.
„Und mein Aussehen“, ist er zögerlich, „meine Behinderungen? Mein Auge?“
„Stören mich nicht wirklich!“, sagt sie.
„Nicht wirklich?“
„Nein - nicht wirklich; echt - irgendwie bist du ein toller Typ, finde ich, und dass genau so, wie du jetzt aussiehst.“
„Wie meinst du ..?“
„Na - ja, mit der Kappe, der Brille - und deinen Klamotten - und so. Und dann bist du so schön groß ...“, lacht sie.
Und Felix lacht befreit mit. „Super!“
„Gehst du noch n paar Schritte mit?“
„Wohin?“
Sie zeigt die Richtung: „Will zum Laden, hab Schicht.“
„Du arbeitest?“
„Was sonst. Jeder muss doch!“
„Stimmt.“ Und er geht mit ihr Richtung U-Bahn und Kotti. Geht ihretwegen mit - und um Hassan zu sehen. Doch nichts davon sagt er ihr. Schon gar nicht von Hassan.
„Ich bin nicht beschnitten!“ erklärt er plötzlich und wie aus eine Laune heraus, die ihm selber unheimlich ist. „Wie? - nicht beschnitten?“
„Na, meine Mutter ist Jüdin, ich also Halbjude, weißt du.“
„Neee, weiß ich nicht; ist auch nicht mein Ding, weißt du“, äfft sie ihm nach.
„Ich meine ja nur so ...“
„Dann mein mal weiter. Ich muss jetzt da rein!“ Und sie deutet auf die Pizzeria gegenüber.
„Ich denke, du arbeitest in einem Imbiss?“
„Wir haben viele Läden ...“
„Ach so.“
„Also, tschüss dann, man sieht sich.“
„Ja“, sagt er und fühlt sich verloren, als sie über die Straße rennt - und ohne sich umzudrehen in der Pizzeria verschwindet, an deren Front ’Hassan’ steht; und es ist wohl vergessen worden dort das Licht auszuschalten, denn der Name blinkt in rot. Daneben ein Stern - in Gold.

Er steht erst nur da und überquert dann langsam die Straße, - ist neugierig auf sie. Und auf Hassan. Geht also - gedankenverloren, hinkt, denkt an Hassan, an Arnold Zweig, an Lana, wobei sein Herz brennt und er das heranrasende Taxi nicht bemerkt - das quietschend bremst und wie irre hupt. „Ey - penn nicht ein, du scheiß Krüppel“, pöbelt dessen Fahrer und drückt die Tute wie wahnsinnig und ohne aufzuhören. Bis Lana kommt, wohl von dem Lärm und den kreischenden Bremsen des Taxi aufgeschreckt und er sich fragt in was für einer beschissenen Position er sei: Kamel, Löwe, Kind? Und wo sie stünde? Und dann ist ihm schlecht, - übel, vom Magen her, - und er muss sich irgendwo festhalten. Muss würgen. Und so weiter.
„Ey, was is n?“
„Mir ist so - so kodderich.“
„Brauchst n Schnaps?“
„Wäre nicht schlecht ...“
„Warte hier“, sagt sie und führt ihn zu einer Bank in der Nähe, „ich hol dir was!“ Als er dort mehr liegt als sitzt, kommt einer der Pennbrüder, die immer und überall rumhängen: „Hast ma Zaster ...?“ und macht die Geste des Reibens mit Daumen und Zeigefinger. „Nein -, ich hab nix.“
„Und da, im Beutel?“
„Nur alte Klamotten!“
„Bist n Schwätzer“, sagt der Alte, und rotzt auf den Boden, „kommt vom Suff, den Drogen, ich seh es dir an!“, und leckt sich über die Lippen, wie einst an Weihnachten vor Gans mit Rotkohl und Klößen. „Ich habe Schmerzen, werde sterben!“

„Idiot! Du hast noch einige Jahre vor dir.“ Ich heiße Felix, will er sagen, steht auf, will weg, stürzt, segelt an den Armen des Penners vorbei, der ihn halten will, der über ihn fällt, sich mit ihm wälzt und ein Handtuch über ihn breitet, scheint es. - Ist so ein grobes Teil aus Leinen, gepunktet, eine Hand mit Altersflecken und aufgeworfenen Adern über der Haut. Einem Geruch wie Essig darüber ... scheint das Schmerzpflaster zu sein, denkt er. Das macht müde, irgendwie. Dann ein Scheinwerfer. Stimmen. Ein Hof mit Mauern, in dem er sich atmen hört, ohne seinen Atem wirklich wahr zu nehmen. Nur Pfeifen. Eine Melodie: ein schöner Tag ..., direkt aus der Fernsehwerbung. Und er wollte erneut hoch, aufstehen. Gehen. „Bleiben Sie mal hübsch liegen!“ Wie das wohl geht - hübsch... Und als er fragt, weiß keiner was Genaues. Nur das Licht vom Mond. Das ist matt, und mehr weiß als gelb, fast wie im Winter. Ist ein ihm unbekannter Mensch - und der wackelt mit dem Kopf, rollt mit den Augen, dass ihm schon wieder schwindlig ist. „Bleiben Sie ruhig, wir haben alles im Griff!“
„Wo bin ich?“
„Im Krankenhaus am Urban.“
„Verstehe“, obwohl er nichts verstand. Und dann sitzt er am Tisch, wie jeden Morgen seit sieben Tagen, und draußen wird es langsam hell. Das Fenster steht offen, er isst und blickt durch die kahlen Bäume hindurch auf das Gebäude gegenüber. „Wann?“, fragt er, obwohl er es weiß.
„In einer Stunde sind Ihre Papiere fertig - und mit denen gehen Sie zu Ihrem Hausarzt.“
„Wäre vielleicht besser.“
„Es ist notwendig. Sie sind krank!“ Felix schiebt den Teller zur Seite und steht auf, blickt über die Häuser, ist weit weg, ist über dem Himmel am Horizont und hinter dem Kanal, der irgendwann ein Fluss sein wird.
„Mal sehen.“
„Ihre Sachen hat übrigens ihr Vater schon abgeholt, wegen der Kripo - und der Pistole - und so ...“ Mein Vater hat sich aus Liebe zu meiner Mutter beschneiden lassen, hatte er Lana noch sagen wollen, und ist zum Judentum übergetreten -, da hättest du mal meinen Großvater erleben sollen ... Doch wozu hätte er ihr das sagen wollen, um sich besser zu machen, weil er eventuell Hassan töten müsste, ihren Bruder, der unter Umständen sein Peiniger war - und ihn zum Krüppel geprügelt hatte? Weil der Kanal zum Fluss strebt, die Blüte zur Frucht wird?
Nein, es gibt keine rationale Begründung für so was wie ... Liebe.
Er drückt seine Hand an die Fensterscheibe und malt über den Abdruck seiner fünf Finger ein Fragezeichen in die weiße Fläche. Ist mit seiner Hand und den Fragen im Dunst seiner Gedanken - und weiter nichts.


*
„Wie war Ihr Name?“, fragt die Schwester, dieses blonde, spindeldürre Ding, bei seiner Entlassung Wochen später. „Terror!, wenn Sie es wegen dem Hund meinen!“ Mehr nicht. - Nein, an mehr will er sich heute nicht erinnern. Denn heute steht er am Grab des Hundes, kniet davor, betet - und auch nicht, singt - und auch nicht - weint, und das laut und ohne Hemmung, es hört ihn sowieso niemand. Hörte man ihn, es wäre ihm gleich. Auch sieht ihn niemand, und das ist gut so. Doch Schwingungen spürt er - in sich, Vibrationen, die Energie von ’America’, die ihn schüttelt wie einen Bau im Orkan - und ihn zu Boden wirft. Das es so ist und nicht anders, da ist er sich sicher. - Als die Energieschübe etwas abgeflacht sind, so auf etwa fünfzig Prozent, seine Hände nicht mehr zittern, die Beine wieder gehorchen, geht er ins Haus, setzt sich an den Flügel, klimpert herum, ein bisschen Mozart, einen heiteren Chopin - und wird bei der Regentropfenprélude schwer im Gemüt. Um definitiv in die Dunkelheit seiner Gefühle abzutauchen legt er eine Platte auf, Wagners Götterdämmerung, und dirigiert bis in den kitschig rot-rosa Sonnenuntergang hinein. Setzt schließlich zum rasenden Finale an, ersticht mittels Taktstock (Handarbeit - Baton Silber, gepunzt 1 Mal mit 900 in der Mitte und 2 Mal 800 an den Enden, mit schöner Maserung im Ebenholz, Länge über allem 37,5 cm) die erste Norne, danach Brünnhilde, Siegfried, Hagen, Wagner, oder andersherum -, ach - es ist auch egal. Und dann, als er es fertig hat, schwitzt und doch kalt und erschöpft ist wie nach einem Marathonlauf in der Arktis, zieht es ihn im letzten Tageslicht noch einmal an das Grab seines Hundes ’America’. - Dort kniet er nieder, betet erneut - stochert mit dem Taktstock in der Erde, weint, verharrt, sagt. ’Ruhe sanft in Frieden’ - und finito. Nein - nein, ich vergesse dich nicht, sein Versprechen, dass in ihm nachhallt wie ein gewaltiger Glockenschlag, als er aufsteht und geht, ihm vom Blutdruck her schwindelig wird, wie oft schon. - Egal, er meint es absolut ernst, als er daran denkt die Rache an Hassan jetzt zu vollziehen - genau jetzt. Also los!, gibt er sich einen Befehl. 



*
Vom Bahnhof Zoo aus nimmt er zur Abwechslung den Bus Richtung Kottbusser Tor, denn wenigstens einige Kilometer will er dadurch mehr haben als den sonst eher einseitigen Blick von der Hochbahn aus nach unten, in den Slum. - Er will sich, das ist sein Bestreben, auf einer Ebene mit dem sozialen Verfall befinden, direkt hinein sehen in die armseligen Hintern der Loser, in die stinkenden Garküche der Abartigkeit, - genau das ist sein Wunsch. Und der wird eher als gedacht Wirklichkeit, kaum dass er sich zurechtgesetzt und die Fahrt begonnen hat, denn schon Ecke Nollendorfplatz türmt sich wegen eines Streiks der Müllabfuhr Unrat himmelhoch auf den Straßen, - ist ein einzigartiger Gestank zwischen Schrottautos, zerschmetterten Möbeln und abgewirtschafteten Dönerbuden geradezu sichtbar. Direkt neben dem Schrott aller Art musizieren katzengroße Ratten auf den Spiralfedern verbogener Matratzengerippe ein “Hey Joe“ als Willkommensgruß, - und echt, er hört Jimmy Hendrix in sich drinnen explodieren. Doch nicht nur das. Es stinkt bis in den Bus hinein nach Urin, Kotze, Armut und frischem Asphalt, - riecht nach Falafel, dass er so liebt, von dem er aber im Moment nichts herunterbringen könnte. Gut, er kennt jeglichen Geruch von seinen Ausflügen in letzter Zeit, und mancher stört ihn nicht mehr besonders, nicht der Dreck in den Hauseingängen, nicht die fast Katzen großen Ratten. - Ratten wie die Menschen, in Buden, wo die Tapeten von den Wänden fallen, falls welche hängen sollten, - die er sonst von der U-Bahn aus sieht, oder auch nicht, aus diesem Ungetüm von Fahrzeug heraus, dass gerade mit Blitz und Donner direkt über ihm ist. Ein Vieh, das, dass aus dem sattem Schwarz des Stahls heraus Funken sprühen lässt, fast wie ein kleines Feuerwerk, es fehlt nur am Applaus dafür. Doch woher soll der Beifall kommen? Über ihm fährt lediglich die U-Eins Bhf. Zoo bis Warschauer Straße, Balkantrommel - hier Knoblauchexpress genannt.

Links, rechts schwankt die Bahn dahin, quietscht protestierend in einer Kurve, die sich seinem Blick entzieht, rattert auf schiefen Schienen schneller und schneller davon. - Felix blickt von unten auf den tätowierten Bauch des eiligen Lindwurms. Offen, und doch unangreifbar rattert das Tier auf tausend Rädern in öligem Blau von ihm weg. Er folgt ihm, bleibt dran, treibt den Bus-Fahrer mit: „Mach schon, Alter!“, ganz gegen seine sonstige Art an, denn er hat Eile - fühlt die brennenden Spur der Gerechtigkeit in sich, verbindet sich mit dem flammenden Maul, den Funken, dem Rauch, dem Gestank von Phosphor und Schwefel. - Ja, Felix ist Siegfried, der Drachentöter, will die Stadt vom Tyrannen befreien, - und Lana wieder sehen - die er glaubt lieben zu können, zu müssen, und das jetzt, und zwar sofort. „Nun mach schon, fahr zu, Alter, - fahr schon, fahr ...!“ - Und dann liegt er neben dem U-Bahnhof in seinem Erbrochenen und eine blonde Frau beugt sich über ihn, um ihn auf den Mund zu küssen. Mutter, stöhnt er, lass das, ich habe mich eben erst übergeben. Es gibt schlimmeres, Junge, erwidert sie. Ja? Was denn? Den Tod! Ist es der, der hinter dir steht? Genau der! Und dann war sie weg. Verschwunden. Einfach so.

Als er sich aufrappelt und dann auf einer der verschlissenen Plastikbänke sitzt, ist die Polizei schon mit Blaulicht zu ihm unterwegs. Gut, es sind eventuell nur zwei Sekunden vergangen - oder ein Jahrzehnt, doch er hört die nahende Meute der Bullen, setzt sich den Revolver an den Kopf und drückt ab. - Eventuell ist er zufrieden in diesem Moment, doch er kann es nie erfahren, denn er wird wach, als ihn jemand kräftig rüttelt, so dass er mit dem Schädel an etwas Hartes stößt.
„Pass doch auf ..., ey!“
Mein Gott, diese verrückten Geschehen kommen von der Schlaflosigkeit, denkt er, bewirkt durch die Tabletten; die machen mich echt kirre.

„Sagen Sie mal, junger Mann, erst krakeelen Sie hier herum, ich soll schneller fahren - und dann muss ich Sie an der Endhaltestelle wecken. Wo wollten Sie denn nun tatsächlich aussteigen?“, hört er den Busfahrer fragen. - „Eigentlich habe ich gar nicht mitfahren wollen ...“, sagt er und tastet nach der Beule, die sich in sekundenschnelle heiß auf seiner Stirn bemerkbar macht und denkt, eine Lüge ist eigentlich eine gute Sache, man muss sie sich nur lange genug als wahr darstellen, dann wird sie auch wahr. - Wahr ist auch der Schuss, den er träumt, als er an den Endhaltestelle auf einer Bank sitzt, der zweite hinterher, beide scharf und schnell in der Detonation.

Das ist ihm alles längst bekannt, wie der flache Rückstoß der Waffe in seiner Hand, den er aus der Erinnerung weiß. Und dazu dehnt er die Zeit, besiegt den Traum, wird Wahrheit - und ist glaubhaft, bleibt es, egal wie oft er träumt. - Beide Schüsse treffen, reißen ein einziges Loch links vom Schulterblatt, bohren sich ins Herz. Ein paar Rippenknochen nehmen sie beim Austritt aus dem Körper von Hassan mit, die sich hinter dem Herzbeutel verklumpen, bevor die Kugeln endgültig aus dessen Körper rasen, Fleisch in den Fängen wie ein Tiger der mit blutigem Maul auf einem Baum in Afrika sitzt. - So ist der Tod, so stellt er sich den vor, - denn sein Tod ist weiblich und süß wie die Liebe, wie sein Sterben in der aussichtslosen Liebe zu Lana. Und er sieht das alles im Gesicht von Hassan wieder, als der stirbt, denn da ist eine unendliche Erleichterung drin, die durch den hindurch scheint wie ein hell erleuchtetes Fenster in kalter Winternacht, so tröstlich; und sicherlich hat der sich das Sterben auch schwerer vorgestellt, wenn überhaupt ...

Für ihn ist Hassan nun nicht mehr nur ein Punkt im Universum, der kleiner und kleiner wird, um endlich ganz zu verschwinden. Der ist wie der Tanz des sich selbst auflösenden Feuervogel von Stravinski, den er dirigiert, die glühende Feder in der Hand, die ihm Kraft gibt, Freude und Erlösung, als er schließlich die Prinzessin rettet. - Ein großartiges Finale, denkt er, und wird wach, als zwei Polizisten vor ihm stehen.
„Kommen Sie mal hoch, junger Mann!“ - Es wechseln Requiem, Marsch, Tango, Walzer, Paso Doble, Marschkapelle. Sind Körper im Takt, und seine Sehnsucht, Lana im Arm zu halten.
„Es ist alles in Ordnung, Herr Wachtmeister!“, beschwichtig er die Polizisten, setzt sich halb auf den Beutel mit der Pistole darin.
„Alles in Ordnung, wirklich!“
„Dann verschwinden Sie - und schlafen sich ihren Rausch zu Hause aus!“
„Ja. Danke. Mache ich.“

Zehn Minuten später deponiert er am Bahnhof Zoo den Beutel mit der Pistole in einem Schließfach. Und schon Sekunden nach dem Einschluss der Waffe dort fühlt er sich schwach, hilflos - und müde. - Mit diesen unangenehmen Gefühlen steht er auf dem Bahnhof und es passiert, er spürt diese verdammte Enge in der Brust, als wenn ihm jemand die Luft zum Atmen nimmt. Er betritt, um besser Luft zu bekommen, den Vorplatz vom Bahnhof. Überquert die Fahrbahn, wird beinahe von einem ausparkenden PKW umgefahren, dessen Fahrer ihm zornig irgendetwas aus dem Fenster nachruft, dass er nicht hören will, dass er nicht hören kann, das er stattdessen fühlt wie einen Peitschenschlag. - Es wird ihm erst egal, als die Qual verblasst, je weiter er sich vom Bahnhof entfernt. Und ohne nachzudenken betritt er ein Haus, dessen ausladende Balkone und riesige Fenster es ihm angetan haben.
Finanzverwaltung, steht auf einem Messingschild an dessen Portal. All das macht auf ihn den besten Eindruck. Gibt ihm die Sicherheit und Kraft, die er nötig hat. Er muss nur lange genug im Haus der Gefühle verweilen, denkt er. - Das Haus ist kühl und riecht nach nichts. Es birgt aber Hoffnung. Also geht er über die breiten, mit grauen Läufern bedeckten Stufen die Treppen hinauf – immer höher, immer weiter. - Auf einem der Zwischenstockwerke meint er den Geruch einer Zigarre zu vernehmen, den von frischem Kaffee. Und das ist ein besonderer Moment für ihn. Ein Bewusstsein, als wäre er zu Hause, oder kurz davor - und nicht in einem Hotel, einer Pension, oder dem Finanzamt, sollte das hier residieren, - wo man gegen Bezahlung Dienstleistungen aller Art erhält. - Dann ist er da wo er hin will, steht vor dem eisernen Ausgang zum Dach. Er öffnet die Stahltür und steht nach wenigen Schritten an der Dachkante. Er schaut von oben auf eine Welt ihm fremden Lebens, hört eine Skala fremder Geräusche - von der Autohupe bis zu Passantenstimmen. Und derbe Gerüche, die zu ihm hoch dringen. - „Zu wem wollen Sie?“, hört er eine Stimme. „Zu Gott“, sagt er, „wohin sonst?“

*
Parteitag. NDPD Fahne. Spruchbänder, die er nicht lesen wollte. Im Saal das Linoleum abgewetzt. Gelb schmutzige Wände. Rauch. Lärm. Bierseligkeit. Eine Mischung aus Pöbeln, Lachen und Husten. Weitere Spurensuche - wozu auch immer, ersparte er sich. Auch die Phrasen der Redner über Kinderspielplätze, Jugend, Arbeitslosigkeit, Hoffnung. Erst von Reichenaus Auftritt über 60er-Jahre und Migranten heute brachte ihn hoch. Über das, was die Stadt damals war und nun ist. Über deutsche Frauen und Kümmeltürken. Pädophile. Salafisten und das Ei in der Zelle. Religiösem Fanatismus. Unterdrückung. Vergewaltigung. Zwangsheirat. Ehrenmord. Menschenrechte und Freiheit. Über Problem am Rande der Stadt. Von Rissen - und die, mitten im Menschen. In ihm; denn da war er voll da. Schloss auf. Marschierte im Geiste mit. Und somit war das Korn in der Erde. Die Saat aufgehen. Und er, Felix, war dabei und fühlte sich wohl. Und kann nicht sagen warum; sei es die Hoffnung um Lana.
Also spaziert er in grünen Parks mit glasklaren Seen. Taucht südlich, nördlich, östlich und westlich in eine Postkartenidylle. Wird herumgereicht, bestaunt, beklopft. Es werden Hände geschüttelt, Schultern gedrückt und Wangen von Frauen geküsst. Es wird gelesen, was er redet. Diskutiert, was er sagt. Denn er ist im Zirkel. Im Spinnenetz. Er darf. Und ist schon nach wenigen Wochen wer, - der Sohn vom Alten, hinter vorgehaltener Hand. Ist weg von Zigarettenkippen und Kaugummis in bekotzten U-Bahnhöfen. Weit ab der Pornoläden, Treppenhäuser mit Uringestank, aufgebrochenen Briefkästen, beschmierten Fahrstühlen, dem Sozialmief. Er schafft sich ab. Erfindet sich neu. Beantwortet seine dringendsten Fragen selber. Kompetent. Und schnell. Kraft seines Geschlechts. Andererseits ist Scheitern für ihn nichts Neues. Doch bisher ist er gut dabei - als Spitzenfunktionär der NDPD. Von Null auf Topp, sozusagen.
„Dein - äh - Vater wird das anders sehen, mein Junge!“
„Du meinst meinen Halbbruder!“
„Genau den!“
„Du wirst verstehen, dass ich mit dir darüber nicht reden will.“
„Vollkommen, mein Junge. Du wirst schon das Richtige tun!“

*
„Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll“, hört er Vaters Stimme mit Knacken und Rauschen in der Leitung wie aus dem Orbit. Zudem sind seine Ohren noch vom Beat der Sex Pistols verstopft, wackeln vom Slamdance mindestens drei seiner Zähne; von den anderen Schmerzen nicht zu reden. Nein, Pogo, nie wieder!
„Was kann ich denn tun, Vater?“
„Mach das Richtige, Junge!“
„Und das wäre?“
„Tritt aus dieser jämmerlichen Partei aus!“
„Aber ...“
„Ich weiß, du machst da gerade Karriere ... Doch die wird von deinem Großvater gesteuert; der spielt wieder seine Spielchen ...“
„Und was ist mit dir?“
„Die haben mich gerade beurlaubt; wollen mich in Frühpension schicken!“
„Dann hast du doch aber Zeit für dich und ...“
„Junge, - ich habe eine Aufgabe zu erfüllen; ich bin nicht umsonst in die Staatsanwaltschaft ... schließlich führte ich mal eine sehr erfolgreiche Anwaltskanzlei ...“ Aus. Weg! Und er hat nichts mehr als Weltraums Schweinepfeifen in der Leitung.
„Vater -, wo bist du ... wo kann ich dich erreichen ... Vater ...?“


**
Er befolgt den Befehl. Läuft noch einige Meter über knirschenden Kies, tritt nach einem Wink unter die Bäume -, seine Füße versinken im Moos. Steht keine fünfzig Schritte weiter vor einem mächtigen Baum; einer Blutbuche mit ausladendem Geäst. Es folgen die letzten bewussten Wahrnehmungen als er wie befohlen sein Jackett auszieht, es auf die Erde legt und sich über einen Vorsprung am Baum bis zu einem gewaltigen Seitenast hochzieht. Von dort wirft er das aus seinem Auto stammende Abschleppseil über einen Ast darüber, verknotete es, legt sich die Schlaufe um den Hals - zieht zu - atmet tief ein und aus, denkt an seine Frau und seinen Sohn Felix - und lässt sich fallen. Eine Tür geht zu. Ein Fenster öffnet sich. Jemand schreit. Und er wird ab jetzt immer alles richtig machen, - anders als früher.

Der Mann mit der Česka- Pistole wartet bis der Körper am Seil zu zucken aufhört, tippt auf dem Handy zwei, drei Ziffern, spricht das Wort „Done!“ steckt die Pistole in den Hosenbund und geht Richtung Straße. Zieht die Simkarte aus dem Handy und zündet die mit einem Dupont Gold an. Bückt sich und steckt die noch brennende Karte in einen Straßengully.

Gegenüber am Fenster einer Wohnung im zweiten Obergeschoss steht eine Frau mit einem Säugling im Arm. Das Baby hat gerade sein Bäuerchen getan und die Mutter wäre es zufrieden hätte sie nicht einen vor einem Gully hockenden Mann in schwarzer Lederjacke bemerkt, der eine Pistole im Hosenbund trägt: Es ist fast wie im Krimi!

„Es war unglaublich!“ wird sie später ihrem Mann erzählen. Doch der ist bei einem mittelmäßigen TV- Tatort schon eingeschlafen. „Unglaublich auch dieser ... dieser total aufgemotzte schwarze BMW mit den goldene Felgen ...!“

Wäre ihr Mann wach - und hätte ihr zugehört, würde er ihr eventuell geraten haben sich zu einer solchen ’brisanten’ Angelegenheit nicht als Zeugin zu melden. Doch so ... wird ihre Zeugenaussage sie ins Unglück stürzen, wie man so sagt. Denn ein Kind zu verlieren weil der Staat daran scheitert seine Bürger zu schützen, das hat schon eine Dimension. Aber nicht nur deswegen wird Tage später der Fund des offensichtlich suizidierten Staatsanwaltes Wellen schlagen. Um dann auch noch wegen der Zeugenaussage der Frau zu einer ’hoch brisanten’ Angelegenheit zu werden deretwegen ’politische’ Köpfe zu rollen haben, wie nicht nur die Opposition vom Bürgermeister fordert.


*
Kurz vor seinem Suizid soll er noch an einem Buch gearbeitet haben, weiß das Magazin Eulen- Spiegel zu berichten. Darin schreibt er über die in Berlin ansässigen Großfamilien - die in Drogenhandel, Erpressung, Zuhälterei und Menschenhandel aktiv sind. Besonders eine der Großfamilien würde der Autor hervorkehren -, da die durch verschiedene legale Geschäfte und Betriebe in den südlichen Bezirken der Stadt eine Machtposition einnähme - und darüber hinaus zahlreiche Bedienstete im Baubereich, im Glücksspiel, Müll und Abfallbereich und bei diversen anderen Ordnungsämtern bestochen haben soll, munkelt man. Auch habe die arabische Drogenmafia in den letzten Monaten verstärkt Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren aus palästinensischen Flüchtlingslagern über Beirut nach Deutschland eingeflogen, da diese nicht strafmündig seien.
Diese Jugendlichen kämen dann in Berlin ohne Pässe an und meldeten sich als staatenlos und Asyl suchend; fallen dem Steuerzahler zur Last. Werden kriminell im Verticken von Drogen oder gehen der Prostitution nach. Und die Behörden schauen weg.

Zudem sei nach mehrtägiger Suche der vermisste Staatsanwalt tot im Wald gefunden worden.
„Es deutet alles auf einen Suizid hin“, erklärt der ermittelnde Beamte der Mordkommission.
’Wir haben da unsere Zweifel’, berichtet unisono die Presse ’der Staatsanwalt wollte lediglich ...’
’Nein! Der Rest ist Spekulation. Und daran beteiligen wir uns nicht!’ schreibt dagegen der Eulen- Spiegel. - Es bleibt vorläufig ein Punkt auf der Liste. Und mehr nicht.


*
NDPD prangt in Front am Bus. Hakenkreuze. Und der deutsche Adler. - Achtzehen Stunden wegen zweier Reifenpannen waren sie mit dem Bus nach Bialystok unterwegs, - um in Polen die von der LPR zu treffen. Und ein paar Ungarn dazu. Alles Rechtsextreme wie sie. - Großvater blieb allerdings zu Hause, dem war die Reise zu weit, zu anstrengend. Von Reichenau hatte also das Sagen über die Korona. Felix war zweiter Mann und trug als einziger keine Uniform. Nicht nur darüber gab es Streit, „ ... ey, der ist wohl was besseres?“ - Stärken, Schwächen, Disziplin, Konsequenz und von Reichenaus Führungsschwäche zeigte sich. Laute Musik. Kreisende Flaschen. Gesungen wurde. Gegrölt. Und Fäuste flogen schlimmer als der Zorn Gottes. Das alles Stiche ins Herz von Felix, in seine Seele. Mann, so dumm kann man doch gar nicht sein ... Chaoten ohne Linie. Das musste er nicht haben. Das will er nicht. Er mag Musik. Freiheit, den Wind, die Weite und nicht unsinnige Kommandos und unmittelbaren Zwang. Am Liebsten würde er auf der Stelle aussteigen, umdrehen und nach Hause. Zu seinem Vater. Mutter besuchen. Das ist sein Wunsch, - der gebiert sich einfach so in der unseligen Situation im Bus. So stark ist der, so heftig, doch undurchführbar.

In einigen Gegenden Polens sieht es immer noch aus wie kurz nach dem Krieg, - den kennt er von Fotos. Und die Menschen scheinen ausgemergelt wie das Land. Andererseits sind viele Frauen in der LPR Partei, wie Felix gleich nach der Ankunft in Bialystok feststellen konnte. Hübsche Weiber. Nationale Hoffnungsträgerinnen, die bald neues Leben tragen.
Aber aus das interessiert von Reichenau nicht, das mit den Frauen. Der war voll vom Belvedere Vodka dem hoch gewachsenen Parteisekretär der LPR auf dem Klo an die Eier gegangen: von wegen einen blasen und so ... Als der ihn schroff abwies, ein Veilchen zeugte noch Tage davon, machte er sich an den Schankkellner ran und war fast eine Stunde unauffindbar. Als Felix ihn schließlich aufstöberte, stand der mit heruntergelassene Hosen im Damenklo und portionierte mit einem Streichholz Koks, obwohl seine Nase schon weiß war wie der Kilimandscharo. Derweil ging es im Saal um die Fußballweltmeisterschaft hoch her und nicht etwa um die Mobilisierung antieuropäischer Stimmen in der jeweiligen Bevölkerung; oder gegen Ausländer. Und keine Stunde später saß auch Felix mit einer Frau die ihn fragte, ob er mit ihr zusammen nicht die Welt sehen wollte? Klar, willigte Felix ein, die Reise machen wir zusammen, - nur das Handyklingeln hielt ihn vom sofortigen one way Flug in die Sonne ab. Und richtig ins Schlingern kam er, als er den Namen seines Vaters hörte; auch weil ihm der den Anrufer unbekannt war.
„Sie müssen lauter spreche, ich kann Sie kaum verstehen ...!“
Zeitgleich musste auch von Reichenau eine Anruf erhalten haben, denn der stürzte auf ihn zu, umarmte ihn und keuchte „ ... das ist ja eine irre Tragödie ...!“ Und Felix wusste nicht wo hinten und vorn war. „Was für eine Tragödie denn?“
„Na ... die mit einem Vater!“
„Was ist mit meinem Vater?“
„Ich dachte, du weißt es...“
„Von Großvater?“
„Nein, - von deinem ...“
„Was nun?“
„Na ... das der ... tot ist ... Ermordet!“
„Ermordet? - Sag mal: spinnst du?“
„Nein - es kam eben in den Nachrichten!“
„In Polen?“
„Über Satellit, auf meinem iPhone ...“

Von Reichenau, - die mieseste aller Körperverletzungen. Der laufende Bierbauch. Der in einer Art Kaltschnäuzigkeit Mitleid heuchelt, dass Felix schlecht wird. Ja, dieses Exkrement des Teufels macht hier Schau und Ereignis gleichermaßen. Versammelt die Korona und befiehlt Staatstrauer, so sollte man meinen. Doch nichts von dem, der ist und bleibt ein Anfänger und, der wird auch nie den Großvater ersetzen können. Jedenfalls nicht so einen mit SS Vergangenheit; denn dazu kackt der viel zu kleine Brötchen. Also bleibt nur sein Name: von Reichenau. Und der hat nichts von Klasse und Schöpfertum, der reizt nicht zur Ekstase. Der ist reines Schmierentheater. Immerhin gelingt es von Reichenau einen Leihwagen auftreiben. Und so sattelt Felix ’die Hühner’, wie von Reichenau meint, der zudem sagt, „wir behalten dich im Auge, denk daran!“ und Felix nach einem Parforceritt 10 Stunden später in Berlin landet. Und das Punkt genau in der Gerichtsmedizin ’Obduktionen’ (nicht weit vom Knast Moabit) einstmals Leichenschauhaus, das sich selbst unter anderem so beschreibt: “Nach der Alarmierung des Fahrdienstes der Gerichtsmedizin durch die Berliner Polizei wird die Bergung der Leiche am Fundort von geschulten Fachkräften übernommen. Die Verstorbenen werden noch am Fundort in hermetisch abschließbare Plastikbehälter verpackt, in das Spezialfahrzeug der Gerichtsmedizin geladen und danach in die Kühlräume der Gerichtsmedizin gebracht.“

„Nein, Sie können ihren Vater nicht sehen, Herr Rausch; dessen - äh - Leiche ist beschlagnahmt!“ hört er dort. So bleibt Felix vorerst nur das Sonnenblumenfeld seiner Erinnerung. Sind die Fabrikhallen seiner Schuld da. Bleibt die Ungewissheit, warum und ob sich Vater umgebracht hat. Bis das Theaterstück wenig später von der Presse mit einer Schlagzeile auf die Bühne gebracht wird: Es war Mord! Somit ist die Tonlage klar, denn von der Staatsanwaltschaft wird davon ausgegangen dass er sich umgebracht hat, in dem er sich erhängte. Doch die Presse bleibt dabei und schreibt er wurde ermordet! Und die vorgebrachten Zweifel an einer Selbsttötung sind erheblich. Zum Beispiel in welchem Zustand der Tote gefunden wurde; denn das Wie verheimlichten die Behörden. Und was hat es mit den Leitern und Kettensägen auf sich, die von der Feuerwehr bei der Bergung des Toten eingesetzt wurden? Oder, klar gefragt: Wie ist Staatsanwalt Rausch überhaupt gestorben? Und warum soll er sich umgebracht haben? Da gibt es doch für jeden sichtbar Parallelen zu der Jugendrichterin Kirsten Heisig. Denn auch da gab es keine Beweise für einen Selbstmord!
Fragen über Fragen. Zum Beispiele diese: Warum wurde die in der Sommerhitze schnell verwesende Leiche über mehrere Tage hinweg nicht gefunden? Wieso haben die eingesetzten Spürhunde den Leichnam nicht entdeckt. - Spekulation erlaubt? Klar doch, denn normal sind die Umstände nicht.

„Sie wollen sich doch nicht etwa den Verschwörungstheoretikern anschließen, Herr Rausch?“ fragt der Staatssekretär wohl deshalb.
„Und was wollen Sie, - dass ich öffentlich sage mein Vater hätte einen Grund gehabt sich umzubringen, Herr Kolb?“
„Nein - nein ...“
„Also bitte: Warum könne Sie nicht klipp und klar sagen wie mein Vater gestorben ist?“
„Nun ja, wir ermitteln noch. Und das braucht Zeit.“
Und damit war der Typ für Felix nur noch ein Fleck am Himmel. Asozial, in einer asozial kapitalistischen Gesellschaft die sich Demokratie nennt. Und er selber ist der Einsame, wie schon so oft. - Ach, wäre doch Lana bei ihm. Und während er das wünscht, hat er den Zusammenhang vom Tod seines Vaters zum Verschwinden von Lana sicher auf dem Schirm. Denn da ist mehr als nur Nähe, da gibt es ein Band; unsichtbar zwar noch, - aber nicht mehr lange. Und dann ist es wie im Fernsehen: Es ist Nacht, es regnet, und klingelt an der Tür. Doch statt der Polizei stürmen Gedanken in seinen Schlaf. Zerfetzen seine Träume, falten die zusammen. Findet er sich am Boden gehalten, kann sich losreißen, springt vom Balkon auf das Vordach vom Schuppen und rennt. Rennt. Nur weg! Weit, weit weg ...!

48 Stunden schläft er wie tot. Erwacht schweißgebadet in muffiger Ausdünstung. Ist kraftlos. Ein nasser Sack. Muss sich trotzdem auf den Weg zu seiner Mutter machen, - die vom Tod ihres Mannes nichts weiß. Die sich sowieso in schlechter Verfassung befinden soll, wie er durch einen Anruf in der Klinik erfährt. Dennoch. Und er erlebt es nicht zum ersten Mal, dass sie ihn nicht erkennt. Und dass sie, als er bei ihr sitzt, irgendwas davon murmelt dass er ein unordentlicher Mensch sei ... Wobei sie ihre Bettdecke arrangiert, nach einer Einkaufstasche sucht, später ein Käsebrot isst und Milch direkt aus der Flasche trinkt.

„Es ist nichts ernstes“, beruhigt ihn die Ärztin. Eine magere kleine Frau mit tiefer Stimme und goldfarbenen Creolen an den Ohren, einem unstet wandernden Blick wie auf der Flucht, - dabei sind überhaupt keine anderen Patienten in der Nähe.

Als er Stunden später das Sanatorium verlässt, ist sein Hemd durchgeschwitzt. Kein Wunder bei diesem wechselhaften Wetter. Direkt eine Zeit für Erkältungen, verschleimte Atemwege und Lungenentzündungen. - Der Großvater würde auch an einer solchen leiden, telefoniert ihn von Reichenau an, - seit ein paar Stunden sei der auch so merkwürdig bleich, ob er denn nicht mal komme könne? Kann ich nicht sagt Felix; will ich auch nicht! Meine Tage sind so schon diffus genug. Zudem bin ich ein Krüppel und brauche Zeit für mich selber. Peng, knallt er den Hörer auf das Retroteil Telefon, - Mutters Erbstück von ihrem Vater.
Und - ja, er selber sollte sich auch wieder mehr mit seiner geliebten Musik beschäftigen, mit den wichtigen Dingen im Leben, denkt er. - Musik, die er mit Leidenschaft gespielt hat, die der Mittelpunkt seines Leben war und ist ... die er auf Schallplatte hält wie einen Schatz, ein Gelübde, ein Tröstung dass doch noch alles gut wird; weshalb es jetzt eine Mutprobe ist die zu hören, - fast wie dem Teufel die Hand zu geben. Dahinein ruft ein Typ an der behauptet er kenne die Wahrheit, weil er selber aus dem Untergrund komme. Und das ohne Zähne. Dafür raucht der wie von der Zigarettenlobby bezahlt. Und um Geld geht es ihm wohl sowieso. Trotzdem, Felix macht noch am Skype einen Termin, - Treffen in einem Restaurant Nähe Uhlandstraße. Und richtig, rauchend in einem Korbstuhl in der Sonne und wie verabredet ’Die Zeit’ auf dem Tisch.

Felix hat einen Boxertypen erwartet. Jedenfalls was großes, breites, sportliches. Nun der hier, ein eher verhuscht aussehender leptosomer Mensch der ihm mit leiser Stimme erklärt - und das sehr umständlich mit vielen Pausen, tief Luft holen und Zigarette anstecken, Kaffee trinken usw. - er kenne die absolute Wahrheit über die Familie S., die immerhin die einflussreichste im Waffen- Drogen- Menschenhandel und Schutzgelderpressung in Berlin sei; und hätte diese Infos auch schon dem Herrn Oberstaatsanwalt Rausch ... doch kurz darauf sei der ja verstorben, was ihm persönlich sehr leid täte ...

„Verstorben - sagen Sie?“
„Nun ja ...!“ nuschelt der.
„Mann, Sie wissen es doch besser. Ermordet - ist das richtige Wort dafür!“
„Das zu behaupten ist sehr gefährlich“, sagt der. Und will auch seinen Namen nicht nennen; unter keinen Umständen, eher sitze ich Jahre im Knast.
„Also - was ist nun ... Wollen Sie das Material nun kaufen, oder nicht?“
„Sie sollten mit dem Preis runter gehen“, sagt Felix.
„Wir werden sehen - , ich rufe Sie morgen an!“ klappt der den Laptop zu, stopft den in einen Backpack, schiebt sich die Sonnenbrille ins Gesicht, steht auf und geht.

In einem dunklen Mercedes gegenüber vom Restaurant klickt in hundertstel Sekunden ein Kameraverschluss, raucht einer Lucky Strike, steigt einer um die vierzig mit Dreitagebart, Jeans, Holzfällerhemd, gelben Camelboots an den Füßen und dunkelblauem Basecap auf dem Schädel aus, während die Kamera unablässig weiter klickt, und folgt leichtfüßig dem Mann mit dem Rucksack.

Geheimdienst, denkt Felix, der eben das Restaurant verlässt und die Szene beobachtet; oder einer von der Familie S., ein Islamist, Journalist. Einer der Nazis? - Ja - Wissen gefährdet Leben, weiß er. Und die Wahrheit klingt heutzutage oft wie eine Verschwörungstheorie. „Ich bitte Sie um Diskretion“, hat er den dazu passenden Wunsch des Staatsekretärs Kolb noch im Gedächtnis. Doch auch dessen Bitte ist eine Sekunde später lediglich noch eine Theorie für die Akten, weil in der Ferne zwei Schüsse fallen, der mit den Camelboots gerannt kommt, einen Laptop unterm Arm, in den Mercedes springt, der mit hell sirrendem Motorgeräusch davon rauscht. Dann Stille. Absolut. Einzig die Lucky Strike Kippe verqualmt. Gut, der Rest ist durchaus in jede Richtung möglich. Doch danach geht es nicht. Ein Mensch wurde ermordet - und wieder Mal schaut die Staatsmacht weg - und schweigt.

„Mord in aller Öffentlichkeit! - Kontaktmann ermordet! - War der Unbekannte Mitarbeiter des Geheimdienstes?“ - So reißerisch postet dagegen die Presse am gleichen Abend. Nur wenig später ruft von Reichenau an. „ ... können wir uns sehen?“ Es scheint um Kleinteile zu gehen, die sich verbinden sollen. Oder geht es doch ums große Ganze?
„Meinetwegen. Aber du kommst zu mir!“
Okay, wo?“
„In zehn Minuten - am Currywurststand!“

Felix nutzt die Zeit und forscht in Google was in den News zur Sache steht. Doch was er findet, sind lediglich Puzzleteile. Und irgendwie zum Thema passend auch ein altes Observationsprotokoll des CIA. Einige Sätze bringt der Stern, auch die Zeit. Focus, Spiegel über zwei Informanten des Verfassungsschutzes, denen ein Auftragsmord zur Last gelegt wird. Von Islamisten und der ’Sauerland-Zelle’ ist die Rede, - die soll ein Agenten-Team und einen weiterer Verdächtiger beschattet haben wie diese über eine ausländische Bank 1,3 Millionen Euro transferierten. Für Waffenkäufe, - spekuliert man. Es soll auch eine Schießerei zwischen Rechtsextremen, Islamisten und der Polizei gegeben haben. Und von diversen Pannen und andere Nachlässigkeiten wird berichtet; dann soll alles wieder ein Fälschung sein. Eine Übung. Und der Stern entschuldigt sich wortreich, wie damals bei den Hitler- Tagebüchern. Und zu der Sauerlandgruppe gebe es keine weiteren Anhaltspunkte. Nichts passt, oder hilft ihm. Auch deswegen surft Felix dann noch in den Traueranzeigen. Denn wenn das Gericht den Vater zur Beerdigung frei gibt, will er keine Zeit verlieren. Doch dann hupt ein Auto. Von Reichenau winkt aus einem zweisitzigen Bufori La Joya Retro- Cabrio.

„Die paar Schritte gehen wir aber zu Fuß!“
„Wenn du willst ...“, schnaubt der, und sieht aus wie Al Capone auf Kuba. Weißer Anzug. Borsalino. Lackschuhe. Überlange Zigarre. Will über die Nachfolge bei der NDPD quatschen.
„Dein ... äh ... Groß ... Vater will hinschmeißen, hat kein Bock mehr ... und dann wärst du ja ..., wenn du willst. Und wenn du nicht willst, könnte ich ja ...“ Und der schielt wegen einer Reaktion schräg nach oben zu Felix hin und meiert sich deswegen „diese Scheiße von“ Currysoße „aber auch“ aufs Jackett.
„War mir schon klar.“
„Du nun wieder. Immer Recht haben wollen, genau wie dein Alter!“
„Welchen meinst du?“
„Du weißt schon ...“
„Und nun?“
„Ja -, was nun. Willst du den Posten, oder nein?“

Felix spürt genau in dem Moment intensive Gefühle für Lana, die sich in Herzstichen äußern. In heißen Wellen von Sehnsucht. Liebesleid. Ist körperlicher Schmerz, dass sie nicht mehr da ist. Und er denkt an die Konsequenz, sie nie mehr wieder zu sehen. Sieht in der knallroten Currysoße die Metapher für Blut und Leiden. Ihren Tod. Und muss sich übergeben. Kotzt auf die Lackschuhe des von Reichenau.
„Na das nu auch noch ...!“ Ist der sauer.
„Sag mal, seid ihr heute alle nur noch bescheuert?“

Derweil gehen bei Felix einige frühe Nachrufe auf seinen Vater ein, die ihm irgendein Idiot auf sein iPhone lädt. Die eine merkwürdige Stimmung bei ihm bewirken, in der er sich jetzt erst fundamental bewusst ist dass sein Vater gestorben ... und er nie Gelegenheit finden wird sich mit ihm auszusöhnen, - wie Vater und Sohn, wie Freunde es tun. Eventuell klingt das Wort ’aussöhnen’ für ihn deswegen so sehnsuchtsvoll wie hoffnungslos. Und in dieses düstere Stimmungsbild passt ihm Tschaikowskys ’Der Sturm’ - Symphonische Fantasie f-Moll. Warum genau, weiß er auch nicht.

„Seine Seelenstimmung war in den letzten Tagen weder ausschließlich fröhlich noch besonders gedrückt. Im Kreise seiner intimen Freunde war er munter und zufrieden, in Gesellschaft Fremder wie gewöhnlich nervös und erregt und später erschöpft und welk. Nichts gab Anlass, an das Herannahen des Todes zu denken.“
- Modest Tschaikowski -

Bei einer Hausdurchsuchung der NDPD Zentrale werden neben einer Uzi- Maschinenpistole, diversen Schlagstöcken, Messern, einem Samuraischwert auch Video- Filme mit rechtsradikalem Gedankengut sichergestellt, die zu Schulungszwecken dienen. In einem der ausgewerteten Filme finden sich Anweisungen wie man eine Terrorzelle führt, Banküberfälle begeht, Geiseln nimmt und Menschen tötet - und das als Selbstmord aussehen lässt.

„Ich warne dich, von Reichenau. Wenn du mit dem Tod meines Vaters zu tun hast ... dann ...!“
„Was ist denn nun wieder? Ey, bist du blöde? - Ich bin unschuldig! - Mann, mach doch deinen Scheiß selber ...!“


**
Am PC liest Felix über Hassan, der als angeblicher Haupttäter mit drei anderen einen jungen Mann asiatischer Herkunft im Streit um ein Mädchen zu Tode prügelte und nun flüchtig ist. Angeblich soll er sich im Ausland aufhalten. Felix liest weiter, dass ein Großteil der Berliner Intensivtäter in Neukölln wohnen und ’wirken’. - Also ist die Tat am Alex eine Ausnahme, was? Doch das ist die nicht, dazu muss er nur seine eigene Person befragen... Schwerkriminelle, steht da auch, haben zu etwa 90 Prozent einen Migrationshintergrund. 45 Prozent geben an, arabischer Herkunft zu sein. 34 Prozent haben türkische Wurzeln. Diese Tatsachen sind deshalb interessant, als zurzeit etwa 10.000 Araber in Neukölln leben, aber mehr als viermal so viele türkischstämmige Menschen. Die Araber stellen also gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil die Mehrheit der Intensivtäter; Slogan: „Ich scheiße auf Deutschland. Du bist Dreck unter meinen Schuhen. Du bist tot.” - Doch was hilft ihm das wegen Hassan. Und erst recht wegen des Schicksals von Lana. Da ist er immer noch kopflos und verliebt, mit manisch-depressiven Stimmungen dazu in letzter Zeit. Doch die helfen überhaupt nichts. Dazu kam ihm beim Denken an Lana ab und an Doro in die Quere. Dieser ungeschminkte Engel, diese schlanke hübsche, die er auf Sicherheitsabstand halten musste um nicht in ihren großen dunklen Augen zu versinken. In einen Mund mit vollen roten Lippen, als hätte sie gerade beim Erdbeermarmelade einkochen genascht.


**
„Hast du von Hassan gehört?“ fragt von Reichenau Felix und spitzt den Mund, schiebt entschlossen seine fettig scheinende Lippen vor als könne er die perfekte Tonlage pfeifen.
„Wieso?“ blockt Felix den zu erwartenden Speichelstrahl vorerst ab.
„Also nicht?“ frohlockt von Reichenau, verkrampft noch mehr seine picklige Fresse und pfeift aus verzogenem Maul tatsächlich und Tröpfchen sprühend den River Quai Marsch; zieht ein Fläschchen ’Underberg’ Magenbitter aus der Tasche, „ ...na, willste?“
„Danke, nein! - Und sonst?“
„Hassan ist in den Libanon geflohen; er soll auf dem Alexanderplatz einen platt gemacht haben ...“
„Wen?“
„Den Erfinder der Curry Wurst, ’nen Fidschi. Ging wohl um gekränkte Ehre oder so was. Jedenfalls um etwas, was uns Germanen in Gänze widerspricht!“
„Das sagst du. Ich finde Curry Wurst lecker!“
„Du tanzt ja sowieso immer aus der Reihe mit deiner Ausländerfreundlichkeit ... sieht man ja mal wieder an der Tusse ... “
„Das kannst du meinem Großvater erzählen, dann bist in der Partei wieder ganz vorne. Und nun lass mich mit solchem Scheiß zufrieden!“
„Denk dran, die ganze Corona kommt zur Beerdigung.“
„Aber nicht wie ihr es wollt. Wenn überhaupt, dann in Zivil und ohne jede Musik.“
„Da hat aber dein Großvater auch noch ein Wörtchen mitzureden, immerhin begraben wir seinen Sohn.“
„Bleib mir mit dem ja weg!“
„Ach - plötzlich wieder?“


*
Dann spielt er Klavier. Zertrümmert dabei imaginär die Geige. Sein musikalisches Trauma. Denn in dieser Welt überleben nur die Stärksten. So tritt er ins Pedal. Löst Perlen. Töne, wie der Rosenkranz in Mutters Hand. ’Sarah’, hört er seinen Vater rufen, als das Strickmuster zum Zopf wird. Sarah! Und die Tasten wirbeln umeinander wie Schweiß in einem leidenschaftlichen Akt. Muskeln rollen. Schäumen das Meer auf. Pulsen den Hals. Schaffen sich Eile. Land entsteht. Blond und fein erst, - wie Haar. Das sich im Odem lustvoll aufstellt. So denkt er an sie. Lara. Doro. Blues. Und Rock’n Roll. Die eine wie die andere. Erheben sich Dünen, die das wütende Meer zurückhalten. Ist es wie am letzten Mittwoch in der Philharmonie, beim Konzert. Belle Époque. Die Schulterblatt zeigenden Damen in langen Kleidern. Häufig in Rot. Samt. Schwere Ausführung. Die Herren in Smoking. Oder Frack. Mit Weste. Fliege. Gesichter wie Marmor. Augenblitze. Einzig seine Blicke sind auf Kammlinie. Ein Skizzenblock sein Hirn. Im Ohr die G-Dur-Sonate KV 379 von Mozart. Als Zugabe Ravel und Brahms. Ein gegurrtes Taubentreffen in der Aula. Durchaus mit Reizen eine Moll-Sonate, schwarz-weiß; man müsste einen Film daraus machen, sein Gedanke. Dann ist Musik Zeit pur. Skulptur und Licht. Meditation, wie aus Thaïs. Entsagung und Forderung. Eine zornige Brandung. Temperament - und dieser Ton. Diese Töne! Und doch hat das Spiel immer nur das Gleiche zu sagen. Liegt eine Karte vor ihm. Das Trumpfass. Ein Ja, ich will. Ich werde - denn ich muss! Also vorwärts. Schmiede den Stahl. Gehe den Weg ins Licht. Biete dem Schicksal die Stirn. Spiele den kompletten Wahnsinn. Spiele Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3. - Und Felix spielt... Spielt! Spielt! Hört und spielt Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3, bis es die Vögel von den Dächern pfeifen. Bis zum Dunkel werden; seinem Zusammenbruch.


*
Medikamenteneinnahme zurzeit neben opioiden Schmerzmitteln in Tropfenform wegen einer Lungenentzündung auch Antibiotika, von denen Felix Pickel, Hautauschläge und Magenkrämpfe bekommt.
„Zu testen sind deshalb alle bisher eingenommenen Antibiotika und zwar jetzt und hier und stationär, sonst fallen Sie mir noch irgendwo in der Walachei um“, sagt ihm dazu der Arzt und, „was haben Sie denn noch so alles eingenommen?“
p.o. Amoxicillin comp.875/125
p.o. Clarithromycin 500
p.o. Avalox 400mg
p.o. Levofloxacin
p.o. Moxiflocain
p.o. Clindahexal 600mg
i.v. Cephalosporin /Ceftriaxon
i.v. Makrolid
i.v. Clindamücin
i.v. Clindahexal 600mg
Deren Folgen da sind: Schlafentzug! Engegefühl in der Brust, Heiserkeit, anhaltender Husten, Atemnot, pfeifende Ein- oder Ausatmung, Hauterscheinungen in Form von Quaddeln - vermehrt an Händen und Füßen, Schlaflosigkeit, starke Juckreize, Kratzen im Hals, Durchfälle, Flüssigkeit im Bauchraum, Atembeschwerden, Geschwollene Füße/Hände, Schleimhautentzündung im Mund, Blähungen, Schwindel, Schwäche, Geruchs- und Geschmacksinn gestört. Dazu Hautauschläge u.a. auf Amoxicillin comp.875/125.
Das Amoxicillin comp.875/125 wurde zuvor drei Tage lang genommen und dann wegen der Einlieferung ins Krankenhaus abgesetzt.
Felix persönlicher Verdacht bezüglich der Hautauschläge ist das i. v. Clindahexal 600mg, gegeben ab dem 02.04. und folgend im Krankenhaus dann i. v. Clindamücin. Davon Hautauschläge u.a. ca. um den 08.04. Auffällig waren auch die fast gleichzeitigen starken Flüssigkeitsansammlungen an/in Händen und Füßen, wie die Schwellungen im Bauchraum nebst Einblutungen an Händen und Füßen. Das i. v. Cephalosporin wurde noch im Krankenhaus (wohl am 07.04.) wegen einer festgestellten juckenden Arzneimittelexanthems gegen Levofloxacin als orale Therapie ausgetauscht.

’Hallo - Felix - müssen wir etwa die Beisetzung deines Vaters verschieben?’ Kommen zwanzig SM von Reichenau im Auftrag des Großvaters in Serie. Die Reichenau mit 88, also Heil Hitler, unterzeichnet, der Idiot. Dem Felix darauf ’natürlich’ nicht antwortet. Stattdessen komponiert er. Spielt ’trocken’ Rachmaninow. Schreibt Tagebuch. Gedichte: ’Wäre ich Sträfling. Müsste eine Strafe verbüßen. Wäre frei gekommen. In der Stadt geblieben. Um zu lieben. Die klaren Nächte. Tage nach dem Morgen. Wie auch immer. Die sandige Erde. Sonnenwarmer Staub. Die harten Brocken. Regen. Blitz. Und Donner. Akzeptiert. Nie aber das Wort NEIN. Den Richterspruch. Mach das nicht. Tue es so. Als ein Jedes. Wenn der Schmerz trinken sagt. Die Seele kalt geworden. Vom Leben. Vergeblichem Liebe suchen. Sprache finden. Ausdruck. Schreiben. Mit dem. In der Zahl der Jahre. Doch du. Als mein Lazarett. Vergiss es.’
Über Allem (aber) dann die ’infame’ Presse. Seinetwegen, in der Verbindung zu Lana. Und weil Hassan wegen dem Mord am Alexanderplatz zum Objekt öffentlicher Geilheit geworden ist; sich im Libanon aufhalten soll. Oder in der Türkei. Und angeblich zwei, drei Pässe besitzt. Dazu noch die kriminelle Großfamilie der ... überhaupt (den Namen trauen die Zeitungsfritzen nicht zu schreiben ...). Vermuten aber ... über deren Machenschaften. Erpressung, Diebstahl, Raub, Betrug, Prostitution, Drogenhandel, Körperverletzung, Totschlag, Ehrenmord? - Berichten über die Ermittlungen seines Vaters wegen Sozialhilfebetrug gegen den Familienclan. Wovon Felix nicht mal wusste; was ihm aber niemand glauben wird, sagt ihm Vaters einstiger Anwalt am Telefon. Und Recht hat der, denn keine Stunde später lungern Reporter vor dem Krankenhaus. Zucken Blitzlichter. Einem gelingt es, bis zu ihm vorzudringen die Tür zum Zimmer aufzureißen und ein paar Bilder zu schießen um in den Nachrichten wenig später zu fragen: ’Was weiß der Sohn vom toten Staatsanwalt? Hat er mit dem Verschwinden der Tochter des Paten von Berlin zu tun? Geht es um Ehrenmord? Wurde Staatsanwalt R. deswegen ermordet?’ Und das auch noch online. Fast ein Shitstorm. Daraufhin sich von Reichenau mit einer Horrornachricht bei ihm meldet. „Dein Großvater kommt dich besuchen!“ Was in der Befehlsform jeden Protest seinerseits ausschließt, glaubt von Reichenau. Doch das glaubt der ’in seiner unzweifelhaft angestammten Blödheit’ auch nur.


*
Statt Großvater kommt dann von Reichenau selber. Und der stürmt sozusagen sein Krankenzimmer, brüllt. „Tom, dieser Idiot, dem haben sie ins Gehirn ... Straftaten ... hat Leute erschossen ... mit dem - äh - Dings zusammen und der - äh - Dingsfrau da müssen wir ... immerhin bist du in der Partei noch die Nummer Eins ... also lass dir dringend was einfallen! Auch mit den Idioten von der Presse ... ich musste eben den Hintereingang nehmen ...“


*
„Für die paar Stunden können Sie Urlaub haben“, ist der Chefarzt gnädig, „danach aber wieder husch, husch ins Körbchen!“ Ob der überhaupt weiß, dass er zur Beisetzung seines Vaters will?

Vaters Wunsch entsprechend tragen die Bestatter einen schlichten Holzsarg. Gelbe und weiße Rosen darauf. Drumherum Tannenzeug. Kränze. Trompeter vorne weg. ’Ich hat’ einen Kameraden...’

„Wo ist deine Mutter, Junge?“ fragt der Großvater, der sich schwer auf einen Stock mit silbernem Knauf stützt in eine Atempause des Trompeters.
„In der Klinik!“
„Konnte sie nicht, oder wollte sie nicht?“
„Das geht dich nichts an!“ Und zum Glück, oder auch nicht, verdeckt ein dunkele Sonnenbrille Felix Augen bei der Antwort; eventuell hätte der Großvater sonst in seine Zukunft sehen können.
„Ist das Herz aus roten Rosen von ihr?“
„Mach dir keine Hoffnung, so eins wird es zu deiner Beerdigung bestimmt nicht geben!“
„Das Glück ist eine Dirne, Junge! Das wirst auch du noch lernen müssen!“
„Spar dir deinen Senf!“

„Es scheint, als habe er sein Schicksal geahnt ... denn auf seinem Schreibtisch war alles wohl geordnet ...“ lobt mit falschem Zungenschlag und getürkter Inbrunst im Glauben an sonst was der Oberste der Staatsanwälte. Dann rockt der Staatssekretär mit gebeugtem Oberkörper um den Sarg und schmeichelt sich einen ab, das einem Hören und Sehen vergeht; Felix wird da schon richtig übel. Vom Magen her. Dann lügt ein Kollege von Vater seinen Gott im Flehen an, er möge seinem Treuesten den Selbstmord verzeihen (dabei ist Vater aus Liebe zu seiner Frau einst zum Judentum konvertiert) und erfindet somit das Blaue vom Himmel neu. Dann schwindelt noch ein anderer am Thema Gott. Jubelt von Vergebung, Verzeihung und Glück im Himmelreich. Dann Orgel. Cello. Bass. Singstimme. Sopran. ’Lasset die Engel jauchzen.’ Steht für eine Sekunde die Welt still. Denn Recht ist Recht nicht. Und Justiz ist Geschäft - wie der Glaube. Aber das wissen doch alle längst. Davon unbeirrt folgt ein Glockensturm vom Kirchturm und Ausmarsch mit Trompete vorweg. Und wie auf Befehl nieselt es. Regenschirme öffnen sich. Das Versteckspiel beginnt. Auch Felix kann sich vom Großvater abschirmen, der mit von Reichenau läuft. Meter weiter dann Prostitution am offenen Grab. Defilee. Großvater neben ihm. Gemeinsames Sand in die Grube werfen. Mit traurigem Blick und ’gemurmelten Flüchen’ Hand geben. Schulter klopfen. Mundzucken. Irgendwo Schluchzen. Weiblich. Wieder Hand geben. Noch mal drücken. Augen kneifen. Zunge schlagen. Erneut Mundzucken. Ohren wackeln. Alles blickernst. Schweißnass beide Hände. Kuss links rechts - von den Frauen. Lippenstiftspuren inbegriffen. Unsittliche Anträge mit Diener machen. Stumm bleiben. Achselschweiß merken. Abpfiff mit Trompete. Und Schluss. Und keiner von all denen, Großvater inbegriffen, weiß um das Buch, das der Vater so gut wie fertig geschrieben hat und in dem all die himmelschreienden Zustände, die Erpressungen, Saufgelage, Kumpaneien mit Kriminellen aller Couleur, gemeinsame Puffbesuche, Schmiergeldzahlungen, sexuelle Vorlieben und perverse Verfehlungen und so weiter und so fort aufgeschrieben stehen.

„Es ist kein trauriger Anlass“, sagt ihm einer in Jeans und pinkfarbenen Basecap auf dem Schädel, „ihr Vater ist nur in einer anderen Dimension. Und das ist gut so, denn es ist vielleicht eine bessere!“
„Wer sind Sie?“
„Ein Niemand -; ich soll Sie lediglich zu Doro bringen.“

Auf der Heerstraße, direkt vor dem Friedhof dann doch die Korona. Mit Blaulicht. Polizei. Krawall. Spruchbändern. Megaphon. ’Rettet das Recht!’ Sirenengejaule. Kameras. Presse. Fotografen. Auf ihn zu stampft Großvater, schwer gestützt auf zwei Braunhemd tragende Männer. „Ehe ich es vergesse, Junge, ich habe diesen Dusseln im Ministerium Druck gemacht. Jetzt ermittelt der Staatsschutz wegen Mord!“
„Machst du dir da nicht selber nur Ärger, - in deinem Alter?“
„Das sind doch alles Kameraden im Geiste, Junge. Wach doch endlich auf!“ Und da erst erkennt Felix den Andreas, einst Bombe - Agent vom Verfassungsschutz, dessen Augen in die Worte des Großvaters hinein blitzen, als hätte er dem Großvater die Sätze vorgegeben und der Alte wäre nicht mehr als ein Zombie.

„Kommen Sie bitte hier lang, Felix“, zieht ihn der Typ in Jeans und pinkfarbenem Basecap am Jackenärmel, „Doro wartet im Wagen...“
Der Wagen ist ein S63 AMG Mercedes 5,5 Liter... In Schwarz. Mit Diplomatenkennzeichen. - Felix ist ein, zwei Meter vom Wagen entfernt, Segen und Fluch nahe, als er das Dauerklicken einer Pentax 645 D, Objektiv smc PENTAX-D FA645 55 mm/2,8 wahrnimmt.
„Ich tippe auf eine H4D-60 Hasselblad“, hört er aus dem halb geöffneten Fenster des Mercedes.
„Nein. Es ist definitiv eine Pentax 645 D!“
„Sie haben wohl das absolute Gehör!?“
„Ja!“
„Ich ahnte es, - immerhin sind Sie schon ein bekannter Musiker.“

Im Duft frisch gesprayten Gucci Guilty Black mit der Basisnote Patschuli und Amber öffnet sich die Wagentür vom Mercedes einen Spalt, hört er Leonard Cohen ’Everybody knows that the dice are loaded…’
„Doro“, streckt sich ihm eine Hand entgegen. Und wieder ist es das Timbre. Wie beim Telefonat neulich. Seine Wachphantasie. Als er an Sex mit ihr dachte. Und er hofft deswegen auch jetzt, dass Sie eine Frau ist, wie er die mag; schlank, groß, mit dunklen Augen und braunen Haaren. Und ob ihre Seele ihm gegenüber Gefühle, Stimmungen und die Zwischentöne der Wahrnehmung von Leben offen legen würde? Andererseits fühlt er sich nicht nur durch die immer noch surrende Kamera beobachtet, sondern auch durch sie.

„Bitte, Felix ... nun steigen Sie schon ein, mich friert!“
’Everybody got this broken feeling…’
„Oder mögen Sie Cohen etwa nicht?”
„Doch, sehr sogar.“
„Na bitte ...“
„Und ganz besonders die Textzeile: ‘When they poured across the border I was cautioned to surrender, this I could not do’. Nicht sonderlich überrascht ist er, als sie dazu ‘I have changed my name so often’ intoniert.
„Ich sehe, wir verstehen uns!” kommt Begeisterung auf; ist er sich zudem - nun neben ihr sitzend - sicher, dass sie der Typ Frau ist, die er mag; schlank, groß, dunkle Augen, braune Haare. Und das mit der Seele, mit Gefühlen und Stimmungen wird sich auch noch klären.

„Geben Sie Gas, Armand!“ befiehlt Doro dem Mann mit pinkfarbenem Basecap auf dem Schädel. Und als Felix sich wie unter einem Zwang umdreht, aus dem Heckfenster sieht, hat er von Reichenau im Fokus der wie Rumpelstilzchen auf der Straße tobt, gestikuliert und winkt als wären Hornissen hinter ihm her.
„Das ist einer der ungefährlichen“, meint Doro, als würde sie über das dritte Auge verfügen, „der kann nicht mal richtig bellen!“
„Damit werden Sie Recht haben...“

„Gut. Kommen wir gleich zur Sache. Ich habe hier ein Dossier über Lanas Familie vorbereitet. Es geht darin um die uns bekannten Aktivitäten des Hassan- Clan. Und die letzte dieser Sorte schlägt ja im Augenblick hohe Wellen, nämlich das BER- Chaos, - wo der Clan minderwertigen Baustoffe lieferte, was jetzt ja in den Mängelbericht der Kommission einfließt. Es geht auch um Bestechung für die Lieferaufträge für den BER. Bei den Aufträgen allein für den Clan handelt es sich immerhin um dreistellige Millionenbeträge und die Korruption reicht bis in die höchste Ämter; die Herren dort sind ja immerhin für ihre Feierlaune bekannt und brauchen Geld. Soweit Teile vom Inhalt des Dokuments im Telegrammstil.“

„Wenn ich Sie also richtig verstehe, hat mein Vater für Sie gearbeitet - und nicht Sie für meinen Vater.“
„Das ist nur teilweise richtig, denn ihr Vater hat nicht für mich gearbeitet, sondern im weitesten Sinne für unser Land. Ich war lediglich sein Kontakt zu unserer Organisation!“
„Was für eine Organisation? Der Mossad?“
„Dazu möchte ich im Moment nichts sagen.“
„Wenn ich Sie aber richtig verstehe, sind die staatsanwaltlichen Ermittlungen und das Buch meines Vaters lediglich ein Fake?“
„Was die letzen Jahre ihres Vaters im Amt - und das Buch betrifft - ja!“
„Also hat mein Vater ausschließlich für ihr Land gearbeitet?“
„Jedenfalls in etwa ab dem Augenblick, als ihrer Mutter Gift verabreicht wurde.“
„Meine Mutter wurde vergiftet?“
„So leid mir das tut ...“
„Und was noch?“
„Der Überfall auf Sie war kein ’normaler’ Überfall.“
„Sondern?“
„Eine Warnung an ihren Herrn Vater ... also an uns!“
„Die der aber nicht befolgt hat. Und Sie schon gar nicht.“
„Wenn Sie so wollen.“
„Was für ein perfides Spiel!“
„Sie sollten die Sache anders sehen, Felix.“
„Ich sehe ’die Sache’ sehr gut. Mein Vater ist tot. Die Mutter durch einen Giftanschlag in der Psychiatrie. Meine Zeit im Krankenhaus, - über Monate im Rollstuhl. Das Martyrium zahlloser Operationen: Die Schmerzen. Den verkrüppelten Fuß. Das Glasauge. Den verbrannten Hund. Die Presse, wegen der haltlosen Anschuldigungen gegen meinen Vater wegen sexueller Belästigungen am Arbeitsplatz. Den Großvater, der sich als mein Erzeuger entpuppt. Meinen folgenden Werdegang in der Partei ... Und nicht zuletzt die Liebesbeziehung zu Lana und deren Schicksal. - Ich könnte Eimer voll kotzen, verstehen Sie das?“
„Ja, - das verstehe ich sehr gut!“

„Wo fahren wir eigentlich hin… Ich dachte, Sie bringen mich nach hause?“
„Noch nicht. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, habe ich noch einen unserer Leute zu einer Zusammenkunft gebeten.“
„Um wen handelt es sich?“
„Lassen Sie sich überraschen.“
„Und Sie meinen, es glückt Ihnen eine Überraschung?“
„Ich glaube schon. Aber bis wir in Potsdam sind, unser Institut ist dort im Besitz einer Villa in bester Havel- Lage, erzähle ich Ihnen eine wahre Geschichte bezogen auf den Überraschungsgast. Danach werden Sie zumindest ahnen, wer es ist.“
„Okay.“
„Gut. - Vielleicht erinnern Sie sich an den ’Zehlendorf- Coup’ 1995. Zur der Zeit hat Christo gerade den Reichstag verpackt und wir kamen in den Besitz einer Insiderinformation, dass in der Commerzbankfiliale Schlachtensee in zwei Schließfächern Unterlagen des Hassan- Clan liegen würden, - unter anderem Listen über Transaktionen, gezahlte Bestechungsgelder und so weiter und so fort ... Auf legalem Weg war da kein rankommen denn unser Informant, ein Bankmitarbeiter, wäre tot wenn wir auf direktem Weg vorgehen würden. So erfanden wir den Tunnel- Sepp. Der rekrutierte einige fachlich begabte Kriminelle und grub von einer angemieteten Garage gegenüber der Bank einen Tunnel von einem Abwasserkanal bis zur Bank. Das dauerte ein paar Wochen, wie Sie sich sicherlich vorstellen können. Nach Fertigstellung des Tunnels spazierten sieben der Leute zur besten Geschäftszeit in die Bank, nahmen sechzehn Geiseln und forderten 17 Millionen Euro, während Tunnel- Sepp mit einem Komplicen genau zu dieser Zeit den Tunneldurchbruch in den Saferaum vollzog. Dort räumte er dutzende Schließfächer aus und nahm zur Tarnung den Inhalt mit. Das Wichtigste jedoch waren die Unterlagen des Hassan- Clans.
Als Stunden später das Lösegeld zur Bank gebracht wurde um es den Geiselnehmern zu übergeben, war Sepp mit den Papieren längst über alle Berge.“
„Und die Geiselgangster?“
„Die sind dann auch durch den Tunnel weg. Erst sechs Stunden später stürmte die Polizei die Bank und fand die unversehrten Geiseln im Tresorraum eingesperrt.“
„Und jetzt soll ich raten wer Tunnel- Sepp ist?“
„Wenn Sie mögen.“
„Ich tippe auf Andreas.“
„Nicht schlecht!“
„Der Komplize von Sepp war übrigens Armand, - unser Fahrer.“ Der zu Doros Bemerkung mit einem kurzen Nicken in den Rückspiegel grinst.

„Ich muss meine Schmerztropfen nehmen - und brauche danach einige Minuten Ruhe“, erklärt er ihr. In Wahrheit braucht er Zeit zum Nachdenken - weil er nichts weiß; auch nicht wie es weitergehen soll.
„Gerne doch“, ist Doro verständnisvoll fürsorglich, „nehmen Sie sich alle Zeit der Welt.“ Und damit ist Felix ihr endgültig verfallen. Befindet sich in einer Art Autosuggestion. Spürt die anlaufende Erotik der Sinne; das ihm in ’Sonnenhitze’ -Gefühl zu ihr Tränen laufen. Merkt dann, dass sie neben ihm sitzt und sich dezent bewegt. Auszieht. Lichtundurchlässig zwar, doch bedeutend - als eine lediglich mit schwarzer Spitze bekleidete sexy Frau mit einer roten Rose zwischen nackten Brüsten, zu denen sein pochendes Glied die Melodie des Seins spielt und sein Dasein ihm Unverstand und Zerrüttung ist. Wo Inneres und Äußeres gleichzeitig lebt. Qual wie Begierde. Hitze und Kälte. Alles Eis schmilzt. Seine Geilheit den alten Schmerz zerstört. Und der Zerfall beschwerlicher Dinge das Ende von Krieg bedeutet. Die Lust des neu Aufbauens ihm Anfang ist. Mit dem dringenden Bedürfnis sie jetzt und sofort deswegen vor Glück auf den Mund zu küssen. Und das so lange, so ausdauernd die Zunge in ihr zu bewegen ... bis die Welt zum Stehen kommt und der Weg unter den Füßen endet wie alle Pfade zu allen Stätten, - um mit allen bösen Personen die er kennt unterzugehen. Wo hässliche Gebilde einfach so verschwinden und stattdessen eine Stadt mit weißen Häusern im hellen Sonnenschein entsteht. Und warm der Wind weht. Blau das Meer wogt. Hell der Sand in der Sonne liegt. Vereinzelte weiße Wölkchen schweben. Wo sie mit ihm alleine ist und ihre Hand auf seinem Arm ...
„Hallo! - Felix! - Hallo! - Wir sind gleich da!“
„Schon gut - ich war nur etwas abwesend. Tut mir Leid.“
„Das macht doch nichts“, bestätigt sie indirekt seinen Gefühlausbruch, „ich muss auch manchmal ’einfach nur so’ weinen.“


***
Von Reichenau liest in der Zeitung vom Beileidstelegramm des Bundespräsidenten an die Hinterbliebenen sogenannter Opfer rechtsradikaler Gewalt. „Die wissen nichts“, kommentiert er mit fester Stimme stolz dazwischen.
„Was wissen die nicht?“ fragt Felix Ex- Großvater, der wegen der leiernden Singsang- Stimme des von Reichenau kurz vor dem Einnicken ist.
„Wie es wirklich war!“
„Und wie war es wirklich?“ schnarrt es aus dem Innersten des alten Chefessel.
„Alles anders. - Ich gebe Ihnen mal eine kurzen Überblick, Herr Reichsführer, wenn Sie erlauben?“
„Machen Sie!“
„Wie Sie wissen, ist die Aktion vom Verfassungsschutz gesteuert worden. Unserem Tom haben die Verfassungsschützer einen Mann mit Decknamen Walter zur Seite gestellt. Tom und Walter also, der übrigens seine Freundin Gabi zu einigen Ausflügen mitnahm, sollten Geschäfte beobachten die im Verdacht standen Schutzgelder an die grauen Wölfe zu zahlen; graue Wölfe muss ich nicht ausführen?“
„Müssen Sie nicht. Weiter!“
„Zudem ging es um Drogenhandel in den dortigen Läden, um die kurdische PKK zu finanzieren.“
„Ich weiß, ich weiß; das ist doch ein alter Hut. Kommen Sie zum Punkt!“
„Gut! Als Tom und Walter erschossen wurden, war nachweisbar ein Verfassungsschützer am Tatort. Wir haben deshalb Andreas eingeschaltet, der ja auch über beste Kontakte zum Mossad verfügt.“
„Und?“
„Tom und Walter haben definitiv nicht Selbstmord verübt, sondern wurden von einem unbekannten Dritten erschossen, wie auch Zeugen berichteten vor deren Haus der genannte Wohnwagen geparkt stand. Die Zeugen durften ihre ersten Aussagen aber unter Strafandrohung nicht wiederholen... Und das taten die nicht mal, als wir sie dann in der Mangel hatten!“
„Sicher?“
„Absolut, Herr Reichsführer!“
„Nennen Sie mich nicht dauernd Herr Reichsführer; lassen Sie das Herr einfach weg!“
„Zu Befehl!“
„Und!?“
„Walters Freundin Gabi erhielt zudem eine SM mit dem Codewort von einem Handy, das auf das sächsische Innenministerium zugelassen war. Das geht übrigens auch aus einem Vermerk des Bundeskriminalamtes hervor. Und daraufhin hat sie dann die von Tom gelegte Bombe gezündet.”
„Weiter!“
„In den Wohnungstrümmern fand man die nahezu unversehrten Waffen, mit denen die PKK- Morde verübt worden sind!“
„Und?“
„Dazu belastende Unterlagen, die eigentlich die bei einem Brand herrschenden Temperaturen nicht überstanden hätten. Doch es kommt noch besser, denn nur wenige Tage später vernichtete der Verfassungsschutz nachweislich sämtliche Akten über den Vorgang.
Die anschließende Pressehetze dient einzig zur Abschreckung nationaler Wähler, denn Tom und Walter sind unschuldig an den PKK- Morden!“
„Was ist mit dieser ... Frau ... dieser Gabi?“
„Die sitzt isoliert in U-Haft. Wir haben ihr, schon wegen der Akteneinsicht, einen Anwalt zur Seite gestellt!“
„Und was sagen die Akten?“
„Bisher hat der Anwalt noch keinen Zugang. - Bei besagtem Anwalt handelt es sich übrigens um Dr. Sperling.“
„Dr. Sperling? - Sehr guter Mann! Sagen sie ihm, er soll Dampf machen. Und wenn er binnen drei Tagen nicht weiterkommt, soll er laut geben!“
„Richte ich ihm umgehend aus, Herr Reichsführer!“
„Abtreten, von Reichenau. Und alle neuen Informationen sofort an mich!“
„Jawoll!“ - Hackenschlagen. Tür knallen. Griff zum Telefon... „Was? Verschlüsselt? Natürlich -, ich rufe über einen hundert Prozent sicheren Apparat an, Kamerad - und deine Nummer habe ich selbstverständlich im Kopf ... Sag mal ..., ich habe da ein Problem und brauche deine Hilfe.“


*
Es gibt Gedanken, in denen man ertrinken kann, - wie Sofas, in denen man versinkt. Monumentale Sessel. Kompakte Dinger mit Blümchenmuster, wie in den 80er Jahren tausendfach aus den USA importiert. Auch Großvater besitzt solchen Trödel. Nur wesentlich älter. Uralt. Fadenscheinig auch ein breiter, einst wohl dicker Teppich. Diwan und zwei Ohrensessel aus einst jüdischem Besitz. Felix weiß davon über seinen Vater. Die Sitzmöbel mit Einschusslöchern in Kopfhöhe, wie es scheint. Die arg verschlissenen Teile sind aus braunem Leder. Die seitlichen Einschusslöcher geflickt mit roter Luft. Das Diwan bunt gemusterter Stoff, der im Hauptcharakter wohl tintenblaue Rosen trägt. Ein Schreibtisch, nussbaumfarben, mit dunkelgrüner Intarsieneinlage steht auf Elefantenbeinen. Auf der Schreibtischplatte eine Kapottlampe mit Karbidzünder. Gegenüber der gläsernen Schiebetür zum Speisezimmer ein riesiges Bücherregal aus Buchenholz. Wie passend; und auf den Großvater bezogen fällt Felix die Strafakte des Alten und das KZ ’Buchenwald’ ein. Und er schämt sich sogleich mächtig dafür, denn im Regal in Augenhöhe auch noch Hitlers ’Mein Kampf’. - Direkt neben der Jugendstilvase ’ Nijinsky - Tanzender Engel’ dann die vom Großvater geschriebene Regimentsgeschichte: ’Erstes Garde-Feldartillerie-Regiment und seine Reitende Abteilung; nach den amtlichen Kriegstagebüchern und Aufzeichnungen von Mitkämpfern. Zwei Bände von Stalling, Oldenburg, 1928. 541/385 S. mit vielen Tafeln, Zeichnungen mehrfach gefaltet. Karte im Anhang, original Halbleinen (etwas bestoßen/geringfügige Anstreichungen), auf die der so stolz ist.
Nun, Felix fehlt es an jeglicher Anteilnahme dazu. Und an Krieg mag er nicht mal denken. Nicht an Hitler und die braune Pest, von dem aber Großvater nicht lassen will und kann, der durch die dunstblaue Luft einschmeichelnd „du bist mein Sohn, lieber Felix“ sagt, „du wirst die Partei weiter führen, wenn ich mal nicht mehr bin!“
„Nein, ich bin nicht dein Sohn. Denn du bist nicht mein Vater, lediglich mein Erzeuger und das unter Umständen, die du nun bald vor Gott zu verantworten haben wirst. - Auch werde ich die Partei nicht in deinem Sinne weiter führen, wenn überhaupt, dann in meinem Sinn, - nämlich vom rechten Rand zur Mitte hin!“
„Ich kann kaum glauben, dass mein eigener Sohn ein solcher Kretin ist“, empört sich der Alte.
„Dann lass es!“
„Hat von Reichenau doch Recht ...“
Genau diese Begegnung ist vorerst die Letzte mit seinem Großvater. Und genau so ist es mit Doro abgesprochen, - die mittlerweile einiges über fünfzig Prozent Anteil in seiner Tagesplanung hat; von seinen nächtlichen Wachträumen nicht zu reden. Auch nicht davon dass er, seit dem sie in sein Leben getreten ist, wesentlich weniger Schmerzmittel braucht als zuvor. Ob das aber als gutes Zeichen zu werten ist und nicht eher eines seiner psychischen Probleme offenbart? Wer weiß. 


*
„Bisher hat Andreas über die Jahre 80.000 Euro vom Verfassungsschutz kassiert“, erzählt Doro.
„Und was zahlt ihr ihm?“
„Auch in etwa so ...“
„Und dann wird der noch von der NDPD alimentiert, - nicht schlecht!“
„Dafür lebt er mehr als gefährlich ...“
„Mein Mitgefühl hält sich in Grenzen ... ist der nicht auch noch Musiker?“
„Ja, und genau das war vor Jahren sein Einstieg in die Szene. Rechte Texte und harte Mucke auf YouTube, da war der schnell akzeptiert; Texte, Musik und Tonstudio haben übrigens wir ihm geliefert.“
„So überzeugt seit ihr von dem?“
„Überzeugt sind wir von dir, Felix, - deshalb lass uns jetzt zur Sache kommen.“


*
Felix ist ein allein gelassenes Kind. Einsam und verraten. Beeinflusst von einem alten Nazi, der ebenso sein Großvater wie als Erzeuger sein Vater ist. So kann man das wohl sagen, denkt er, - der wie aus Gewohnheit in einem schwankenden Waggon der U-Bahn Linie1 sitzt und durch schmutzige Scheiben sinniert.
... und wenn der Großvater stirbt, hat er nur noch seine Mutter; wie man eine Person in einem solch paranoiden Zustand wie Mutter ist überhaupt haben kann. So hat das wohl auch Vater gesehen, der deshalb zeitweise mit irgendeiner Frau liiert war. Auch mit einer schlanken, großen Blonden, der Felix nur durch Zufall begegnet ist. Die Vater im Hotel Adlon am Arm hatte, als er dort zum 5 Uhr Tee Piano spielte um sein Studium zu finanzieren. - Die Tea-Time- Kosten im Adlon betrugen 29 Euro pro Person (ohne Champagner), 37 Euro (mit Champagner) Eine Reservierung wurde empfohlen. Felix erhielt für die drei Stunden Im Hotel 50 Euro und konnte mit 20 Euro Trinkgeld rechnen. Immerhin.

Damals kam ein kurzes Kopfnicken vom Vater, als der ihn sah - dass er genau so knapp beantwortete, gerade als er zu Wachteleiern auf Toast an einem der vorderen Tische ’as time goes by’ klimperte. Mehr war nicht. Außer dem ewig matten Licht, dass durch Scheinwerfer hinter den Bleiglasfenster an der Decke auf kleine, runde Tische fiel. Auf die Menschen in Anzug mit Krawatte, auf Tücher aus Seide, Kleider und Handtaschen. Auf Jasmintee, der von Hand zu kleinen Kügelchen geformt ins Wasser fiel, um darin wie Blüten aufzugehen und zu duften; serviert wurde der Tee stilgerecht in Silberkännchen.

Gegen achtzehn Uhr war die Tea- Stunde vorüber und für Felix Feierabend. Da waren die Blondine samt Vater längst weg; er hatte die eng umschlungen und wie es für Verliebte auf der Flaniermeile ’Unter den Linden’ wieder modern sein soll auf einer Rikscha Richtung Brandenburger Tor davon fahren sehen. Und mit mehr als nur einem kleinen Lächeln beim Anziehen der Alltagskleidung in der Garderobe des Adlon, hat er sich für seinen Vater gefreut. Gleichzeitig aber an Mutters Schicksal gedacht und so sein Seelenleben wieder einmal in einen ihn schmerzenden Spagat gezwungen.


***
Drei Monate sind seit dem Tod des Kafir am Alex vergangen und Hassan hat über den Familienanwalt erfahren, dass niemand deswegen nach ihm sucht. Und das ist genau die Nachricht, die er erwartet hat. Schließlich verfügt sein Vater über Macht und viel Geld und er, Hassan, ist sein erstgeborenerer Sohn und somit Erbe. Zur Sicherheit tauscht er trotzdem den Pass mit seinem Cousin Onur, ’wer weiß, was die deutschen Pisser ansonsten mit mir veranstalten’, lässt den Bart kürzen und die Haare schneiden. Etwas an Gewicht zugenommen hat er während des Rumsitzens in den Bergen hinter Antalya sowieso und so ähnelt er Onur, wie man einem anderen Menschen nur ähneln kann. Einige Tag später landet er in Berlin- Tegel und flucht auf die Stadt. Auf Regen, Kälte, Dreck und unfreundliche Taxifahrer. Was ihm dagegen gute Laune macht, ist seine vom Vater abgesegnete Planung das ’European’ Pokerturnier im Hotel Hyatt zu cashen. Und wie er von seinem Schwager, der als Techniker dort arbeitet, hört, sind die Sicherheitsmaßnahmen eher lasch. „Drei Hip- Hop- Kanakster aus der Dorman- Szene“‚ lacht der, und zudem ist die Beute von 250.000 Euro voll lohnend. Auch hat er seinen Bruder Avram im Turnier angemeldet, - grinst‚ „ich klau also nur meine eigene Kohle zurück, Alter“.
Avram wird also im Saal sein und über Handy mit ihm in Kontakt stehen. „Ey, du gewinnst bestimmt den Jackpott, Kanake“, grient Hassan. „Dann kauf ich mir Mercedes und ne Alte aus Hollywood“, freut sich Avram.


*
Felix treibt es wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen zum Herrmannplatz. Steht dort und sieht eine Weile nur so in die Luft.
Geht dann zur Pizzeria, in der Lana einst kellnerte und überlegt, ob er überrascht ist oder doch nur leidlich erstaunt als er einen Typen vor sich hat, von dem er meint, dass der wie Hassan aussehen würde, der zudem einen Rucksack trägt in dem Felix Anziehsache vermutet, auch weil der augenscheinlich nicht schwer ist. Felix findet zusätzlich Bestätigung als der Mensch im Eingang neben der Pizzeria verschwindet. Doch das alles ist nicht mehr als eine Reflexion.


***
Hassan betritt das Hinterzimmer der Pizzeria in dem Augenblick, als sein Vater Anweisungen gibt mit Geld das linke Spektrum in Berlin zu unterstützen. „Wenn es gegen Israel geht sind diese sogenannten Aktivisten dumm genug sich vor unseren Karren spannen zu lassen. Also geben wir den Kartoffeln das Geld im Namen der Palästinenser im Westjordanland und verpflichten die zur absoluten Verschwiegenheit! Du übernimmst das, Halil; du sagst denen, dass sie damit die Familien der Häftlinge unterstützen sollen, die sich augenblicklich im Hungerstreik befinden. So haben wir Presse gegen Israel und können unseren bevorstehende Waffentransfer an die Kurden abwickeln. - Wie ich hörte, will einer dieser Häftlinge den Hungerstreik bis zu seinem Tod durchziehen oder freigelassen werden; dessen Familie müssen wir extra unterstützen. Und das übernimmst du, Husam, du kennst dich da aus. Und sorge dafür, dass dieser Diamant nicht freigelassen wird sondern medienwirksam stirbt, - so ist der Highway zu einer Intifada weit offen. Noch Fragen?“ 


*
Was Zeit braucht, denkt Felix, nimmt sein Schmerzmittel direkt aus der Flasche, denn dann dauert es nicht so lange bis das Paradies in Sicht kommt. Und dann schneit es auch schon und ein längst überfälliges Auto, (eben noch) Depression genannt, verschwindet knatternd um die nächste Ecke - und er hat seine Aura, weiß aber nicht, wer mit wem worüber spricht. So bleibt der Witz humorlos. Wie der Mann im Spiegelbild, der zerzaust wie nach einer schlaflosen Nacht, auf der Straße steht und verzweifelt sein verlorenes Spielzeug sucht, während Eisschollen durch sein Inneres rumpeln, Sprengsätze für eine andere Zeit - bevor das letzte Bild von Lana und ihm in die Tiefe des Universums fällt. Dazu presst er seine Stirn an die Schaufensterscheibe, blickt suchend in die Pizzeria um auszuloten wie der Ton zum Bild in den Tag passt, wie das Rätsel Lana zu lösen sein könne - und was denn in Gottes Namen Zeit braucht? - Man müsste eine Stecknadel nehmen und sie einstechen. So wurde es früher mit Landkarten gemacht. Und so versucht Felix sich an der Zeit, in seiner Erinnerung in Bezug auf Lana.

Er spürt heißen Atem in seinem Nacken ... riecht aber nichts. Jedenfalls nicht das, was er gerne gerochen hätte. Zum Beispiel den Duft von frischem Wasser, harzigen Bäumen, saftigen Wiesen oder erdigen Hügeln. Er spürt nur stoßweise Atem. Bedrohlich. Gefahr verkündend. Aber Stumm. Es ist, als wenn Feuer seinen Hals verbrennen würde.
„Wer bist du?“ fragt er - und wünscht sich Regen. Um darin zu stehen. Wegen der Abkühlung. Auch weil ihn Regen beruhigt. Wie auch das alleine sein ihn beruhigt; um sich ungesehen die Regentropfen aus dem Gesicht zu wischen. Seine Tränen. Die Angst. Um in das Wasser zu atmen, das warm über seine Wangen läuft. - Wegfliegen wäre auch eine Option, denkt er. Anderseits weiß er, er wird jetzt seine Lektion lernen müssen.

„Wenn ich einem Schwein wie dir das Ohr abbeiße, ist es in deinem beschissenen Land Körperverletzung. Die Sharia befiehlt mir, dir zusätzlich die Eier abzuschneiden - und ich würde als Belohnung ewige Anerkennung erfahren. - Du hast echt Glück, dass mein Vater dich lebend sehen will. Also komm jetzt mit, du scheiß Kretin, bevor ich ...!“ sieht er im Umdrehen Hassan bedrohlich glotzen.
„Ey, so kannst du mit deinen Ziegen umgehen, Alter!“ Sagt er. Und hört daraufhin ein Geräusch, als ob aus dessen Lunge Luft entweicht das lediglich ein Ausatmen ist und auf Sprache völlig verzichtet, andererseits durchdringend ist wie das Gekreische angestaubter Seiten einer Bassgitarre.
„Ey, wolltest du was sagen?“ Fragt er aus seinem eben entdeckten Frühling mit warmer Stimme. „Ey - its fucking beautiful ...“
„Bis hierher und nicht weiter!“ bellt Hassan und stößt ihn die Treppe zur Pizzeria hoch, „oder du bist tot!“ und schlägt ihm aus vollem Lauf heraus einem Schwinger in den Magen, dass Felix denkt, die Stimme von Hassan käme mit Gedröhn aus einer Wand voller Blitzlicht reflektierender Lautsprecher. „Hast du mich verstanden?“ Und über die Klangschneise hinweg und voll in die Beats hinein muss Felix kotzen, - grinst und murmelt in Intervallen „ey ... its fuckn beautiful, Brother ...“ weil sich dutzende hübscher Mädchen in Hot Pans und oben ohne um ihn drehen. Dann hat er Augen und Ohren auf Durchzug gestellt, kommt erst wieder im Hinterzimmer der Pizzeria zu sich, der zu den Seiten mit Maschendraht gesichert Fenster hat und außer einem Lüftungsschacht und kahlen Mauern ansonsten nichts vorweist; es hätte also durchaus auch ein Wartesaal für Außerirdische sein können.
„Setz ihn auf den Stuhl da!“ hört er. Und obwohl nur einmal bisher im Leben gehört, kann er die Stimme zweifelsfrei zuordnen...
Keinen Eimer Wasser jetzt, wie in einem schlechten Film üblich, denkt er panisch. Und doch; er kokettiert mit der Furcht, mit den Fesseln, mit der unmöglichen Möglichkeit einer Flucht - denn das Kommando führt hier der Pate, - der Vater von Lana. Und das es für ihn nicht gut enden wird, ist seine Befürchtung.
„Entschuldigen Sie“, sagt er. „Wo geht es hier bitte zu den Toiletten?“

„Ist er sauber?“
„Bis auf die Pistole ...“
„Okay, mach ihn mal richtig wach.“
„Mit Salmiak?“
„Ja!“

Die Schärfe von Säure beißt Felix schmerzend in Nase und Augen, kratzt im Hals. Doch nach 2-3 Sekunden sieht er klar - und unmittelbar vor ihm sitzt er, der Pate. - Borsalino! Dunkle Sonnenbrille! Weißes Hemd! Fliege! Schwarzer Anzug! Diamantring am kleinen Finger! Lackschuhe! Ein Klischee ... aus dem heraus eine angenehme Stimme leise sagt: „Lana lebt und ist verheiratet, hörst du?“ - Und Felix hat augenblicklich den Film vor Augen: Es wird ein Fest gefeiert. Die Hochzeit der Tochter des Paten. Musik ertönt. Menschen reden. Essen. Tanzen ausgelassen. Und während die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht, befindet sich der Herr des Hauses in einem abgedunkelten Zimmer und nimmt sich dem Anliegen des Ehemannes seiner Tochter an, flüstert: „Ich mach dir jetzt ein Angebot, Felix, das du nicht ablehnen kannst ...!“ Und da Felix ahnt, was kommt, haut er seine lange unterdrückten Gefühle wütend in dem Statement „Lana liebt mich aber!“ raus.
„Nein! Du hast sie entehrt - und damit auch meine gesamte Sippe! Lana liebt mich, ihren Vater, - ihre Familie - und ihren Mann! In dieser Reihenfolge. Und sie wird Kinder haben. Und die liebt sie dann auch! Lana ist Muslima und du bist ein Nazi- Judenjunge. Sowas wie du, kommt in unserer Welt überhaupt nicht vor! - Basta!“
„Was denken Sie sich ...“
„Wenn du nicht augenblicklich die Schnauze hälst“ hört er Hassan, „schneide ich dir den kleinen Finger ab, dann den an der anderen Hand, dann den ...“
„Lass ihn ...! Gib ihm eine Spritze - und setze ihn weit vor der Stadt aus! - Und du, mein Junge, hast das unbeschreibliche Glück Lana zu kennen, sonst ...“


Es ist ihm alles längst bekannt, - der flache Rückstoß der Waffe, wie er aus der Erinnerung weiß. Und dazu dehnt er die Zeit, besiegt den Traum, wird Wahrheit - und ist glaubhaft, bleibt es, egal wie oft er den träumt. Beide Schüsse treffen, reißen ein einziges Loch links vom Schulterblatt, bohren sich ins Herz. Ein paar Rippenknochen nehmen die beim Austritt mit, die sich hinter dem Herzbeutel verklumpen, bevor die Kugeln endgültig aus dem Körper rasen - mit Fleisch in den Fängen, wie ein Tiger der mit blutigem Maul auf einem Baum sitzt. - So ist der Tod, so stellt er sich den vor, - denn sein Tod ist weiblich und süß wie die Liebe, wie das Sterben in einer aussichtslosen Lage. Und er sieht das alles in dessen Gesicht wieder, als der stirbt, - denn da ist eine unendliche Erleichterung drin, die durch den hindurch scheint wie ein hell erleuchtetes Fenster in kalter Winternacht, so tröstlich.
Sicherlich hat der sich das Sterben auch schwerer vorgestellt, wenn überhaupt.
„Nun mach schon, ey ...!“ hört er Hassan. Doch er kann kaum seine Beine bewegen, - hat nicht mal den Einstich gespürt; was ist los? Verdammt!


***
In einem Straßengraben der Bundesstraße 96 in der Nähe der Stadt Gransee wurde eine hilflose Person entdeckt. Neben der Person fand man eine Tüte mit rund 500 Gramm Amphetaminderivaten. Über den momentanen Zustand und die Identität des Mannes ist nichts Näheres bekannt.

Heute, kurz nach 05:30 Uhr, heißt es in den Nachrichten ausführlicher, hat ein LKW- Fahrer nahe Dannenwalde eine Person im Straßengraben liegend entdeckt. Der Trucker rief über Handy die Polizei, die den Mann stark krampfend vorfand und sofort einen Rettungswagen anforderte. Der hinzugeeilte Notarzt und zwei Sanitäter kümmerten sich um den bewusstlosen Mann und brachten ihn nach der Erstversorgung per Helikopter ins örtliche Krankenhaus. Noch während die Polizei vor Ort ermittelte meldete sich eine Frau und teilte den Beamten mit, dass sie eine Person unweit Dannenwalde leblos gefunden habe. Als sie Hilfe anfordern wollte kam der Mann zu sich, stand auf und rannte davon. Zudem sei ihr ein silberfarbener BMW mit Berliner Kennzeichen aufgefallen, der mit hohem Tempo davon fuhr.


*
Der Tag stiehlt seinen Traum und schlägt mit einem Knüppel zu. Und Felix kann auch hier nicht anders, er hat keine andere Wahl als damals in der Sache mit der alten Frau. Also nimmt er den Prügel und schlägt das Teil dem Typen gegenüber auf den Schädel. - Schlägt einmal. Zweimal. Dreimal. Viermal. Volle Pulle schlägt er. Schlägt, schlägt und schlägt. Volles Rohr. Er schlägt auf die ein, die ihn gefangen halten. Er will die totschlagen, damit Ruhe ist, Frieden. Denn wenn er schlägt, öffnet sich ihm der Himmel. Flüsse rauschen. Berge wachsen. Täler weiten sich. Ebenen breiten sich aus. - Berlin explodiert. Die Kathedrale stürzt ein. Im Dom donnert die Orgel. U-Bahneingänge verschlucken Menschen. Flugzeuge tragen deren Seelen fort. Der Konzertsaal am Tiergarten erhebt sich. Drinnen räuspert sich der Konzertmeister. Das Orchester plustert sich auf, blättert in Noten. Dann ist es geheimnisvolle still. Ein Ton erklingt. Musik. Bratsche. Dann Flügel. Piano - Mozart - erst, das deckelt ein unterdrücktes Husten. Nach Mozart eine brandiger Bach. Traumhaft Händel. Mutig Grieg. Folgend Gluck. Schubert. Intim Chopin. Was er will. - Dann sind es Ställe, in denen federlose Hühner an vergifteten Eiern sterben. Schweine ohne Ohren und Schwänze an gammeligen Koteletts nagen. Ferkel sich im eigenen Kot wälzen. Rinderhälften- Herzen in einer Halle mit blutiger Wand bis zum Dach hängen. Wollnackte Schafe in Todesangst blöken. Dazu stinkt es nach Exkrementen, salzig streng nach Urin. Mengen sich die Rufe der Schlachter mit Schostakowitsch. Strawinsky. Verdi. Vivaldi - im Winter. Bis Sommer. Über Frühling. Zum Herbst. Immer Schlachthaus. Krieg. Und Vivaldi. Jahreszeiten; hält Felix den Dirigentenstab, der zischend durch die Luft fuhrwerkt. Ein Florett, das wie fremdbestimmt einen gefährlichen Streich nach dem anderen führt. Dann Stille. Danach grunzen, blöken, schnüffeln. Danse macabre. Blut. Blood. Liter von verkrustetem- einstigem - Lebenssaft. Der Tod, im Reigen mit Traumbildern; wie er sich umdreht, die Zunge zeigt, während er dirigiert, - und wieder schlägt, - mit offenem Maul staunend. Note um Ton. Ton um Note. Applaus. Ovation. Tag und Nacht. Day and night. Cole Porter. Nord. Süd. Ost. West. Hände klatschen. Klipp klapp. Während der Mond blass am sternenlosen Himmel hängt. Am anderen Ende von Zeit die Sonne kraftlos am Vorhang zieht ... Egal, es steht das Requiem an. Dunkle Wolken. Regen satt. Hagel schwer. Gewitterröcheln. Jagende Blitze. Donner. Dann nichts mehr. Nur dunkles- tief- schwarz, tintig wie tausend Meter unter dem Ozean. Bis irgendein Idiot die grauenhaft quietschenden Rollläden herunter lässt - oder hoch zieht ... und damit ist das absolute Aus angesagt. Der Tag vorbei. Er ein Fake, - und am Ende jeglicher Verarsche; mehr als sterbend, viel mehr als schon tot; ach, wenn es das nur wäre. Unterdessen Schritte auf Kiesel. Ihm ’lebende’ Menschen begegnen; er deren Anwesendheit am individuellen Odeur merkt. Am klappern von Metall. Schere. Löffel. Klammer. Äther an Atemwolke. Wattestäbchen. Tupfer. Ein Walfisch an der Oberfläche von sehr kaltem Wasser, - der meterhoch Fontänen ausbläst. - Weiße Kittel, blitzende Nickelbrillen über grünem Mundschutz die er sagen hört: „Das haben wir gleich!“ Und damit fällt er in einen kreisenden Nebel der zunehmend schneller wird. Der sich ihm als eine ocker Spirale andient: „Ich mache dir jetzt ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst ...!“ Respekt, ist Felix begeistert, das hätte Stockhausen im Gedenken an die Vernichtung seines Vaters in der Tötungsanstalt Hadamar nicht besser in Notation zu bringen vermocht.


***
Doro ’Einzelkind’, früher Maria Dorothea Süßmilch, deren Eltern es gelungen ist noch weit vor dem Holocaust ihre Arztpraxen zu verkaufen, sie war Internistin, er Hals- Nasen- Ohren Arzt um in die USA zu flüchten, die nach der Rückkehr der Eltern in Berlin geboren wurde um nach dem Abitur in Tel Aviv Modedesign zu studieren und ’bei der Israeli fashion’ als Model zu laufen und heute noch nach der Grabstätte ihrer Großeltern irgendwo Nähe Warschau fahndet, doch bisher nicht weiter kam als am Ehrenmal des jüdischen Ghettos Blumen abzulegen, erteilt Andreas den Auftrag Lana zu suchen.

„Meinen Infos zu Folge ist der Hassan- Clan aktuell von Zypern aus aktiv!“
„Trotz der Anklage wegen der Ermordung unserer Leute in Bulgarien?“
„So lange die Hisbollah nicht als Terrorgruppe gilt und in der libanesischen Regierung sitzt...“
„Gut, dann fange ich da an.“
„Und jeden Hinweis direkt zu mir!“
„Aber klar, liebe Cousine.“


**
Man muss kein Prophet sein um zu wissen, dass nach einer Revolution der Rohölpreis steigt. Der Benzinpreis. Die Gaskosten. Alles teurer wird. Wegen dem Wüten der Terroristen gegen Israel. Den Palästinensern, die aus ihrer Nische raus wollen, um arabisch frei zu sein - wie die vom 11. September in den USA. Verwurzelt wie jene, die in der Tradition Ehrenmorde begehen. Ungläubige entführen. Geld erpressen und morden. Kirchen zerstören, - deren Anhänger traditionell Ehebrecherinnen steinigen. Sex mit Kindern für Recht erklären. Prostitution durch Ehen auf Zeit betreiben. Schwule aufhängen. Zungen, Arme, Hände, Füße, Schwänze abschneiden. Augen mit Säure verätzen. Menschen eingraben, köpfen. Kritik verbieten. Gedanken instrumentalisieren. Foltern und hassen. Vor allem hassen! Egal wen. Aber mit Inbrunst aus dem Glauben, unter dem unsichtbar machenden Schleier. - Bomben im Zeichen des Terrors. Zudem sind ihre Toten Heilige, - keine Soldaten. Ihre Morde keine normalen Morde. Die Sharia Recht. Und Krieg Gottesgeschäft. Aber das wissen doch alle längst. Und die neuen deutschen Nazis sowieso, die nutzen gerne solche Steilvorlagen. „Nein, man muss wirklich kein Prophet um sicher zu sein was in Deutschland in den nächsten Jahren geschieht“, freut sich von Reichenau. Hegt andererseits immense Angst als schwul geoutet, durch die Sharia verurteilt und gepfählt zu werden.

„Wenn sie dich kriegen, schneiden dir deine eigenen Leute den Schwanz ab, von Reichenau!“ Prophezeit ihm Felix Großvater. „Denk an Röhm!“ Und von Reichenau denkt seit Jahren an nichts anderes - als an diesen Röhm. An dessen Ende in der ’Nacht der langen Messer’...


*
„Sie wollten deine Seele befrieden!“ hört Felix Doro.
„In der Psychiatrie?“
„Ja! Und deswegen habe ich dich ins Jüdische Krankenhaus bringen lassen. Wir haben hier nämlich eine eigene kleine Abteilung.“
„Danke vielmals ... Und wie geht es jetzt weiter?“


**
Bert hat er die ganze Scheiße zu verdanken. Der hat ihm die Pistole untergejubelt, mit der nachweislich ein ’Döner’ erschossen wurde.

„Ein Verräter weniger!“ sagt Bert später - ohne sich zu entschuldigen.
„Und was habe ich damit zu tun, ich kenne den Kerl überhaupt nicht, so wie ich auch dich bis dahin nicht kannte!“
„Immerhin ...“
„Klar, die haben mich wegen dieser idiotischen Knarre in die dunkelste Zelle des Kellers gesperrt, du Blödmann.“
„Und dann kam ich dazu!“
„Ja, du, Bert, als Agent vom Verfassungsschutz ... hast mich gequält, geschlagen, abhängig gemacht und dann angeworben.“
„War doch ne schöne Zeit, - oder etwa nicht?“

Bert -, ein Schrank von einem Kerl, wie man so sagt. Muskeln aus Stahl. Haare Blond. Augen Blau. Unbehaart die Brust. Am gesamten Körper tätowiert - wie sein mächtiger Schwanz, - der in der Tätowierung am Ende eine Schlange symbolisiert. „Ist ein chinesisches Glückssymbol!“ Von dem von Reichenau überwältigt, geschlagen und trocken gefickt, einen Darmriss erlitt.

„ ...du hast mich vergewaltigt, - du Pottsau!“
„Hatte ich ein Wahl? Erstmal warst und bist du unbedingt mein Typ, ich mag dich griffiges Ferkel nämlich wirklich, zudem hatte ich neben meinem Ständer einen Auftrag.“
„Und ich weiß immer noch nicht wie du wirklich heißt, obwohl wir jetzt einmal die Woche bumsen.“
„Wie -, gefällt dir das Hotel nicht?“
„Doch, das Rheinsbach ist wunderschön, aber davon rede ich nicht, sondern davon, wie du richtig heißt. - Bert ist nämlich kein Traumname!“
„Passt aber zu dir, Ernie.“

„Hast du den Stoff dabei?“
„Das, was du für eine Woche brauchst. Und dann noch eine niedliche Kapsel.“
„Wofür die?“
„Für deinen Alten; - sag mal: macht ihr es eigentlich noch?“
„Nein! Zum einen kann er nicht mehr. Und zum andern liebe ich dich und bin dir treu!“
„Treu?“
„Ja!“
„Und tutschen?“
„Blasen auch nicht. - Und nun mach schon, was ist mit der Kapsel?“
„Sagte ich doch, - die ist für den Reichsführer!“
„Hat er die bestellt?“
„Die kommt unbestellt. Und du sorgst dafür, dass er die nimmt!“
„Zyankali?“
„Du bist schlau.“
„Und warum?“
„Dreh dich auf den Bauch, ich zeig es dir ...“

Und wieder wird von Reichenau ’vom Glücksbringer Schlange’ durchdrungen. Vergeht er im zitternden Beben - in Vorbereitung des Tsunami, der seinen Körper gleich durchrast. Wie prickelnder Champagner, der ihn auf den Gipfel der Lust trägt, - in ein tiefes Tal schleudert, in ein Kommen ohne aufzuhören ... ein Gehen ohne Wiederkehr. Dieses absolute hin und her; hin - her. In ein Dasein zu tauchen, ohne da zu sein. Schneller und schneller. Geiler als geil. Tiefer als tief. Rasend und ungestüm dieser wahnsinnige Traum, der sich aus dem Inneren der Seele erwächst, im Unterleib zündet und im Hirn explodiert. Der jault, zuckt und nie endet ... Das verbliebene schleckt er lautstark der sich windenden Schlange ab.
„Hör sofort auf jetzt, mir tut schon der Schwanz weh!“ wird Bert energisch, „...das muss eine Woche lang reichen!“
„Schade“, quengelt von Reichenau, „mit dir könnte ich jeden Tag drei Mal!“
„Putz dir lieber das Maul ab und orientiere dich am Reichsführer. - Ich erwarte Vollzugsmeldung innerhalb von drei Tagen!“ 


*
Felix hat Fieber. Sein Geist tritt aus ihm heraus. Macht ihn schutzlos. Und das Überleben ungewiss; er fühlt sich wie schwer verwundet. Doch auch irgendwie erleichtert. Alles wegen Doro, fragt er sich ... Während die Ärzte um sein Leben kämpfen. Und er die erstaunliche Szenerie um ihn herum beobachtet. Ja, harte Kost, solch ein Traum, der keiner ist. So experimentell und grob - durch das verabreichte LSD. Verführbar und verführerisch - bis zum tödlichen Schluck. Ein Pas de deux banaler Momente. Dieses Nahtoderlebnis. Das entblößt ihn immer weiter, total nackt ist er. Andererseits macht ihn seine delirierende Nacktheit sinnlich. Und geil. Aber auch ein Albtraum, in dem er leicht angreifbar, völlig ungeschützt mit seinem Ständer im Krankenbett rum liegt. Dann wieder kommt er sich vor, wie unter einer Eisdecke gefangen, um in Abständen zum Luftschnappen an einem Atemloch für Minuten aufzutauchen. Danach fühlt er sich dann, als sei er ausgeschlachtet worden; als ob ihm was fehlen würde; die Erinnerung vielleicht? Oder ist seine Handlungsunfähigkeit eine Verschwörung des Kretins von Reichenau? Eine Laune der Natur? Ein Spiel? Flipper? Pinball Blizzard? Bubble Shooter? Eine Gehirnwäsche? Während im gleißenden Scheinwerferlicht grün vermummte Menschen mit fremder Sprache um ihn herumstehen, die wie in Zeitlupe reden; es andererseits kein Ende nimmt mit den Elendskarawanen; den wachsbleiche Leichen, denen man augenscheinlich bis auf den letzten Milliliter das Blut abgezapft hat; all den gescheiterten Helden am Infusionsständer ... Und wo bleibt überhaupt die Würde, wenn er im Versuch den Kopf oben zu halten aufs Bettdeck kotzt. Die irren Blicke all der anderen ertragen muss, - das wegdrehen ihrer Köpfe. Die Gesten der Verachtung, als er dann endlich in voller Länge das Licht der Welt neu erblickt und die Idioten auf dem Bahnhof der Unwirklichkeiten zurückbleiben müssen. Er aber rein ins Leben ... in Lärm und Licht, Gerüche, Lachen ... Doro! ... in seiner unmittelbaren Nähe. „Schön, ich freue mich, ... du bist auf dem Weg der Besserung!“ Hört er. Und er glaubt ihr, denn sein Ding regt sich, als sie ihn am Arm berührt. Ach was, schon wenn sie ihn anspricht ihr „ ...alles wird gut!“ sein bedürftiges Herz trifft, er daraufhin sagt: „Ja! Ich liebe dich auch.“ Und dann so was wie eine Soundmaschine kehlig lachen hört. „Ja! - Du! - Mein Liebster! - Alles wird gut!“ Und genau das ist dann ’volle Pulle’ Glück für ihn, den Felix! - jippie aeijey Schweinebacke - endlich mal wieder! 


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Bodo trägt die Kutte der Baseball Rocker - und tritt der NDPD von Felix Großvater bei. Würde es die NSDAP noch geben, wäre er der beigetreten. Von Reichenau meint zu Felix, Bodo wäre in der NSDAP besser aufgehoben; denn von Reichenau hat Angst vor Leuten wie Bodo. Und Bodo riecht das, wie Raubtiere die Angst ihrer Opfer riechen und macht es von Reichenau gleich mal vor wie ein Mann es macht, wenn er es macht.
Es ist kein Experiment, um es vorab zu sagen. Es ist was es ist: Ein Akt der zu einer Akte führt, wobei der Akt zu nichts dient als der eigene Befriedigung - die eventuell eine Öffnung bekannter Muster hin zum Ziel ihrer Reform ist. Die Moral, falls es sie gäbe, würde sagen: Bodo ist und bleibt ein Krimineller. Ein altes Schwein. Ein Sittenstrolch. Erpresser. Kinderschänder. Zuhälter. Monster. Ein Vergewaltiger. Er ist eben - sagt er - außen und innen anders als andere. Und so wie er ist und zeigt was er hat, darüber sagt er, „...das soll mir erst mal jemand nachmachen!“ und denkt: Nicht mal Lulu, die Hure, dieser Zwitter hätte das gekonnt. Und die wusste gleich, in was für ein perverses Haus sie kam - denn er, Bodo, hat sich und sie auf die ’herrlichen’ Abscheulichkeiten gut vorbereitet; er ist der Beton - auf dem rote Rosen wachsen. Ja, Bodo glaubt an sich, an das was er tut. Er kann sich, seit dem er es das erste Mal getan hat, auch nicht mehr vorstellen, dass es eine andere Form des sexuellen Existierens gibt - und wenn, er pfeift drauf - denn ihn, ihn zieht es mit Macht und täglich in dieses versaute Hurenhaus am Rande der Stadt.

’Swingerclub Mahagony’ steht in feiner Goldlasur auf schwarz an der Blockbohlentür. Und sobald er das Haus betritt, weiß er, was ihn dort erwartet, wie er sich zu verhalten hat. - Ein Glockenton erschallt, leiser Gesang von einem elektronischen Schlüssel, - und er wähnt sich im Paradies, im Gotteshaus zur tagtäglichen Weihnacht, zur Taufe, Hochzeit, Ein- und Aussegnung. Nur Mittwoch ist Ruhetag.
In der Garderobe entkleidet er sich, - ist nackt bis auf eine Maske vor den Augen, und betritt den ersten Raum, vom dem das private Separée ausgeht. Dort kniet er nieder, beugt sich nach vorne, stützt sich auf die Unterarme und ein Jemand, ein maskierter Unbekannter, massiert ihm schweigend den Anus mit warmen Öl und führt ihm dann - in einem einzigen Zug - den vibrierenden Dildo Marke Morgenstern ein. Während Bodo noch tief durchatmet, zündet der Unbekannte eine Kerze an und schickt der Flamme, gebetsartig, seine Bewerbung hinterher.
Es sind wieder fast alle da, sieht Bodo. Und was die, die da sind, an ihm augenblicklich nicht sehen: er trägt einen Bauchnabelschmuck. Ein teures Schmuckstück; - ein dunkler Brillant, geschätzte drei Karat. Ein Millionenteil. Was aber ’fast nur’ er, Bodo, weiß, in dem Stein ist eine Kamera versteckt. Und was auch kaum einer weiß ist, dass Bodo damit im Auftrag fotografiert. Nicht jeden freilich, - nur die, die es seinem Auftraggeber wert sind: Politiker, Geistliche, Industriebosse, Schauspieler, Künstler, Anwälte, Richter, Journalisten; all die perversen Puffgänger - die Arschlöcher, Schweine, all die Onanisten der Nation - wie auch den bekanntermaßen schwulen Bürgermeister der Stadt, der eben nackt und mit einer roten Rose im Hintern von einem Menschen der nur aus Brustmuskulatur, ledernem Penisschutz und strengem Blick zu bestehen scheint an einem blitzenden Stachelhalsband Richtung Ausgang gezogen wird.

Eine Linie muss Bodo ab und an ziehen ... und deswegen hat er Schulden, - gehört er mit Haut und Haaren dem Hassan Clan; die Kutte der Rocker ist nur Tarnung. - Und sein Verbrauch an Stoff wird durch die quengelnde Nase mehr und mehr, - wie die Schulden. Die Jagd nach dem Pulver, dem Kick, machen ihn fertig wie der Hassan Clan mit immer neuen Aufträgen; in gewisser Weise ähnelt er dem typischen Erfolgsmenschen der Gegenwart, somit auch seinen Opfern. Denn auch er glaubt an nichts, und kann sich nicht vorstellen, dass andere an irgendeine Form anderen Existierens glauben; schon gar nicht welche von denen hier. Denn die alle hier, mehr oder weniger, pfeifen auf jegliche Moral und Verbote, auf den Staat - und deren Vertreter, die sie teilweise selber sind. Und statt der christlichen Gebote, können sie die sie betreffenden Strafgesetztexte aus dem Stand hersagen. Bodo auch! Bodo ist zum Mörder geworden, zu Gottes Hand. Und er steigert sich in der Anzahl der Morde, weil es nicht anders geht; es sei, er würde selber Abschied nehmen. Doch das will er nicht. Es steht im Buch der Bücher noch zu viel offen; genau diese Einsicht ist seine Strategie. Und sobald er den Lotterpuff betritt weiß er genau, was er zu tun hat, - wie es sich zu verhalten gilt. Er lässt alles mit sich machen was die wollen und schießt wie irre seine heimlichen Fotos, um damit so viele wie möglich zu erpressen. Die dicken Fische ausschließlich für den Hassan Clan; es geht leider nicht anders, denn auch hier wird er überwacht, also bleibt nur das Kleinvieh für ihn. Doch klar, alles muss schließlich seine Zeit und seinen Ort haben; wichtig ist momentan lediglich, dass auf den Fotos alle Personen scharf zu erkennen sind. - Und Tatsache, die ersten Abzüge sind ihm blendend gelungen; einige Puffbesuche also nur noch, ein paar Mal die knipsen, die er noch nicht in der Sammlung hat und es kann mit dem Nebenverdienst losgehen. - Und er wird zuschlagen, - der Bodo braucht das Geld, obwohl er vom Clan gewarnt wurde Wege abseits der Regeln zu gehen. Doch ohne Höchstrisiko kein richtiges Vergnügen; das Motto aller Irren dieser Welt - und das betrifft auch von Reichenau - im Lackkleid, als Königin der Nacht, ’Lonely Heart’ die zum Slalom um die dicksten Stangen im Schlangennest genommen wird bis ihr das Blut kocht, während Bodo knipst, knipst, knipst. Tiefer und tiefer geht die Reise des von Reichenau, rechts und links wummern die Bässe, brennen die elektrischen Schläge, zischt die Peitsche, quält rot glühendes Eisen seine Haut; immer lauter schreit er vor Lust. Und der Glaube daran, es könnte immer so sein ist wunderschön und tröstlich - und das nicht nur morgens um Fünf, als von Reichenau in der sich zuziehenden Schlinge mit Schaum vor dem Maul orgastisch zappelt.


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Felix übt den aufrechten Gang unter Topfpalmen neben Hollywoodschaukel, auf dem Dachgarten vom Krankenhaus. Doro stützt ihn dabei mit rechts. Zieht mit der linken Hand den Ständer mit der Infusionsflasche hinterher. Der Himmel ist blau. Die Sonne scheint; es weht ein leichter Wind. Dezent grummelt die Stadt. Ein Tag zum niederknien. - Felix atmet tief durch. Doro auch. „Was für ein Tag!“ ist Felix begeistert. „Noch eine Woche“, sagt sie heiter, „dann bist so weit.“
„Ganz wohl ist mir bei der Sache nicht!“
„Ach Felix, hab keine Angst, du bist keine Sekunde alleine, - ich bin immer bei dir!“ Und das klingt tröstlich; sowas von tröstlich aber auch, dass Felix seinen Kopf schräg legt als wolle er den unter ihre Achsel stecken. Und wie sie da so einen Moment lang einmütig stehen, beide in weiß - Doro, Felix - und der Ständer mit der Infusionsflasche, sieht es mit ein wenig gutem Willen aus als würde dort ein Schwan mit zwei Köpfen stehen. Das Bild bleibt, bis Felix sich aus der Position löst, Doro zärtlich umarmt und auf den Mund küsst. Es ist das allererste Mal - mit ihnen, dass er sie (eventuell aus Dankbarkeit) küsst; oder vor Glück? - Oder weil es Zeit dazu ist. Einfach so!


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Zeit ist etwas für Leute, die keine Zeit haben. Von Reichenau hat gerade keine. Der hat eben lediglich noch Zeit gefunden die Radlerhose mit eingearbeiteten Kühlkissen am Hintern und Suspensorium aus Ziegenleder (vorne!) anzuziehen, das unbedingt nötig wurde, da ihm wegen der 5 Stück Viagra die er über die Nacht hin eingeworfen hat eine schmerzende Dauererektion zu schaffen macht; andererseits sein durchgerammeltes Rückloch Ähnlichkeit mit dem Aftergeschwür eines Pavians aufweist - und dazu unsäglich brennt.
Von Reichenau steht also gegen 5:30 Uhr mit einer abgequetschten Erektion und einem heftig reagierendem Anus in Lack und Leder mit Perücke an Sonnenbrille vor dem Club, - muss aber um 7:00 Uhr pikobello gekleidet beim Reichführer sein, - blickt vor Sorge schwer atmend in eine rosa aufgehende Sonne, die heller wird, während er auf ein Taxi wartet. Er dreht den Kopf von da nach dort, wegen der elenden Helligkeit muss er blinzeln und zusätzlich verwischen Tränen die Schminke - und sieht mit den schwarzen Streifen im Gesicht komplett bescheuert aus, als statt des erwarteten Taxi Hassan auf ihn zukommt: Hassan! Der ihm die Fotos der vergangenen Nacht in die Hand drückt und salopp „Los!“ befiehlt; - nicht mehr als ’Los’! Und von Reichenau genau weiß, was Hassan mit ’Los’ meint - und deshalb augenblicklich Richard Wagner hört: Götterdämmerung! - Ach, was für ein Morgen, freut er sich, - denn bald wird der ’Alte’ nicht mehr sein und er Parteiführer... Nein, Reichsführer, - allerdings von Hassans Gnaden. Aber auch diese Problemlösung gelingt mir noch, denkt er. Denkt er. Denkt er! Unterschlägt dabei aber die Einflussnahme vom Verfassungsschutz in Gestalt von Bert und den des wesentlich gefährlicheren Hassan- Clan: Aber nicht doch -, wenn ich Reichsführer der NDPD bin, erledige ich den und all die anderen nach Belieben, ist er sicher.


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Bodo nun wieder, der Mann mit Zukunft - die schon längst in der Vergangenheit begraben liegt.
Als er jung war, spielte er Gitarre und sang. Später hat er in obskuren Lokalitäten auf den Tischen getanzt, den Lohn versoffen, und in den Ecken gefickt was ihm vor die Pfeife kam. Manchmal ließ er sich dafür bezahlen. Von den Männern, die an seinem Ding lutschten. Und nirgends musste er sich dafür verantworten, obwohl es von Gesetz und Moral verboten war. Doch das Schönste, man sieht es ihm nicht mal an; nicht Bodo, noch irgendwelchen halbseidenen Paragraphen. Doch inzwischen hat fast jeder die Bilder im Fernsehen gesehen: Eine Kühltruhe voll mit menschlichen Schädeln. Das blaue Plastikfass mit Salzsäure in der Ecke unter dem Fenster. Die von Lauge zersetzen Körper in der Badewanne. Gebleichte Knochen in Kisten, Plastiktüten, Möbelstücken. Dutzende Körperteile in der Tiefkühltruhe im Keller des Hauses. Einem dunklen Verlies mit Gittern vor dem winzigen Fenster und jeder Menge Kot auf dem Boden. Polizeibeamte mit Atemmasken und in Schutzanzügen im ständigen rein- und rausgehen. Sanitäter. Ein Notarztwagen. Wie die Feuerwehr mit einem Menschen auf einer Trage aus dem Haus kommt und einer von den Trägern innehält, um auf das verdorrte Gras vor dem Haus zu kotzen. Das alles ist in der von der Familie Hassan angemieteten Wohnung in Palästina Ende der 90er Jahre geschehen, wo die Feinde der Familie von Familienmitgliedern getötet, missbraucht, verstümmelt und entsorgt wurden. Von Bodo.

Auf einem Foto aus der Zeit sieht er wie ein Sportstar aus, der gut im Training steht -, wenn er nicht einen gebleichten Schädel in der Hand hielte, den er abküsste und dazu wie im Rausch mit aufgeblasenen Mund teuflisch grinsen würde. Das Vieh. An ihm auffällig waren auch die kalkweißen Narben im Gesicht. Die wulstig aufgebrochene Haut im Lippenbereich; fast wie ein vom Chirurgen aufgespritzter Kussmund. Zudem auch die Striemen an seinen Armen wie ein gewolltes Muster erscheinen. Und die am Körper glichen gar afrikanischer Kunst.
Eine Hundeleine, geführt von seinem Vater, schlug ihm die nach und nach alle. Ja, alle ... Alle ... Allesamt! Hörst du, Gott. Hörst du? Doch der Vater blieb straffrei. Dafür kam Bodo ins Heim für schwer erziehbare Jugendliche.
Musiker wollte er werden, Sänger, oder Formel Eins Pilot, sagte Jahre später seine Mutter auf dem Waldfriedhof; ihre Rechte hielt eine verwelkte rote Rose im Klammergriff.

Wenn Bodo morgens den Puff verlässt, der Puff gehört dem Clan und heißt ’Gordons’, und es fünf Uhr ist - immer ist es morgens um fünf - sieht er nach, ob er überall das Licht gelöscht hat und sämtliche Türen abgeschlossen sind. Die Tageskasse hat er zuvor im Tresor verwahrt, die holt Anderntags ein Sicherheitsunternehmen ab. - Früher hat er die noch selber zum Banksafe getragen. Einmal sei er dabei überfallen worden, hat er in einer Befragung erzählt. In Wahrheit hatte er zu dem Zeitpunkt Spielschulden zu begleichen. Deshalb. ... und Bodo dachte die Hassans wüssten davon nichts ... Doch Irrtum, der Chefmafiosi wusste davon. Der weiß sogar, dass Bodo schon am nächsten Tag (ein Idiot nicht wahr?) seine Schulden bezahlt hat. Und nicht nur das, der Kretin zahlte noch einen Wagen an, eine Jaguar E-Type. Clanchef Hassan 'der Erste' hat nichts dazu gesagt. Doch der vergisst nichts. Niemals!

Als Bodo das ’Gordons’ verlässt, es ist noch dunkel, dreht er sich um, einfach so, weil er sich immer umdreht seit damals ...; verantwortlich dafür wohl sein schlechtes Gewissen, dass ihn dazu zwingt.
Hört er von irgendwo ein Geräusch, egal welches, zuckt er schreckhaft, meist sind es die Hände - als wenn die etwas im Reflex greifen wollen, sich wehren. Er sieht dann in die Richtung, aus dem das Geräusch zu kommen scheint und seine Augen drehen dabei rund als wäre er ein Tier auf der Flucht, das unmittelbar von seinen Feinden weiß. Doch heute kommt er nach längerem angestrengten Horchen zu dem Schluss, dass es nichts gewesen sei kann als eine Pistole, die jemand durchgeladen hat. Eine Walther PPK vielleicht? Doch eventuell ist irgendwo in der Nähe lediglich eine Kastanie vom Baum gefallen ...; und wenn es Herbst wäre, wäre das möglich gewesen. Es war und ist aber nicht Herbst. Es ist weit davon entfernt, Herbst zu sein. Und auch das Rascheln von trockenem Laub ist kein Laub - eine Stunde vor Sonnenaufgang im Sommer, zur Gespensterzeit, wenn man zu viel getrunken hat und die Nase voller Koks ist ... Und Bodo, im Ansatz des Entzugs der Droge ’Party machen’ und in die Stille nach dem Krach im ’Gordons’ kann auch manchmal ’einfach nur so’ unheimlich sein, oder nicht? Jedenfalls geht er mit schnellem Schritt weiter, flucht, und rotzt auf den Boden, so wie im Film irgendwer der mächtig Angst hat - wie offensichtlich nun er, Bodo, der zigfache Schlächter beiderlei Geschlechts.

„Wir haben Andreas auf ihn angesetzt!“ erzählt Doro, „du musst also keine Angst haben!“
„Habe ich aber“, sagt Felix - und schämt sich dabei seiner Angst.
„Es ist so schön“, krault ihm Doro liebevoll den Kopf, „dass du Vertrauen zu mir hast.“
„Es ist mehr“, sagt er, „es ist Liebe, - fürchte ich!“
„Auch davor musst du keine Angst haben, lass die einfach zu ...“
„Und du?“
„Ich auch; ja, ich auch!“


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Es ist eine Liebe wie im Roman. Jedenfalls fast und bei Felix, der mit seinen Gefühlen zu Doro schon mitten drin ist... Der Lust und Leidenschaft versprüht, dessen Augen blitzen, obwohl er noch krank im Bett liegt. Ja der Felix, der sich ein romantisches Idyll herbeiträumt. Der Sehnsucht nach Gemeinsamkeit in der Art von Frau, Kindern, Haus, Hof und Hund hegt. Und was er sich sonst noch so mit ihr wünscht. Und, dass das Glück von unseligen Zufällen geschützt werden muss, damit er mit Glanz auf Ewig vor Doro bestehen kann. So denkt Felix, der Spießer, der in einem Rest von schläfriger Mattigkeit (die den Medikamenten geschuldet ist) liegt, und sich am nächsten Tag bei Doro entschuldigt.
„Ich fand es trotzdem schön ...!“ sagt sie, „es klang so ehrlich!“


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In einer Abfalltonne unweit vom ’Gordons’ wird Bodo gefunden. Erschossen. Der Tat verdächtigt wird LuLu, eine Hure aus dem ’Gordons’, schreibt die Presse.

So richtig kann man sich die ehemalige Verkäuferin Monika, zu Kunden sagt sie, dass sie Pädagogik studieren würde, als nichts anderes vorstellen als ’die’ Nutte LuLu zu sein. Nicht als Verkäuferin. Noch als Ehefrau. Unmöglich als Mutter. Nein, als Mutter schon gar nicht. Doch egal was man sich wie vorstellt, sicher ist, sie wird dies und das auch nie sein, weil sie nie Verkäuferin und schon gar nicht Mutter sein will; wäre sie doch eine, die ihr Kind zu oft alleine lassen würde. Und wäre auch nie ehrbare Ehefrau, weil sie ihren Mann betrügen müsste, weil sie gerne ’fremd’ geht. Und was anderes als Nutte kann man sich bei LuLu erst recht nicht vorstellen, denn sie bumst gerne und ausdauernd, was jeder ihrer Kunden weiß und schätzt; und sie wollte und will deshalb auch nie Studentin von irgendwas sein, denn sie macht Sex ’einfach so’ aus Spaß und ohne jeglichen Kundenanspruch auf Gefühle, die sie zuweilen zwar hat, aber hinsichtlich ihrer Freier nicht zugibt.

Jetzt, aus dem Hinknien, steht sie schwankend auf. Die Knie tun ihr weh. Bodo hat sie geschlagen, bis sie fast bewusstlos war. Hat ihre Beine gegriffen als sie lag, ihre Möse wie eine Geldbörse mit Reißverschluss geöffnet - schrubb - schrubb seinen Stab gewetzt bis der groß und hart war und ihr den dann mit Wucht eingestoßen. Erst von vorne, dann aus der stabilen Seite; hat sie bäuchlings platt auf den Boden gedrückt und von hinten genommen - schrubb - schrubb - dann - wieder - gewürgt, - gestöhnt „... nun komm schon, du kleine Sau!“ und so lange am Hals gedrückt, bis sie unten rum zuckende kleine Stöße macht - ihren Hinterleib hin und her wirft. „... na bitte, es wird doch...!“ - schrubb - schrubb ... Doch - doch, schon, ihre Nerven liegen blank, als er wie wahnsinnig in sie stößt, aber ihr Blut, das kreist noch ruhig innen drin. Noch weniger erregt ist ihr Herz. Die Lungen atmen zwar etwas schwer und der Darm drängt nach oben, als er dort drin zum Finale ansetzt und sie denkt: Oh, Mann, das Blut wird herabstürzen (aus ihrem kühlen Kopf) und mich ohnmächtig werden lassen. Armdick der Strahl, schwarz- blau ... das schöne jauchzende Blut, - wie auf dem Schlachthof, denkt sie ... „... nun komm schon!“ befiehlt er. Und sie wirft die Hinterbeine hoch und lässt die Gäste kommen - und das Tier über ihr atmet (da hinein) ungeheuer heiß, bald - als wenn die Sau am Schweiß ersticken würde, - wie, als wenn ein Stein aus großer Höhe fallen würde und unter Krach aufschlägt, dass die Erde bebt. - Ja, sie wird und muss dem Mann ... diesem Tier über ihr weiterhin gefällig sein, wippt auf und ab bis er brüllt und sich wie im Fieber schüttelt, das eklige Vieh. - Mit gespreizten Beinen steht der nun oben, über ihr, zeigt den gut beleuchtete Fleischerladen der Verkäuferin, Nutte, LuLu, - und die sieht zu wie er pisst. „... ich kriege dich schon klein, warte nur, du blöde Fotze!“ stöhnt er dabei. - Offensichtlich sind solch ein Vollzug und das Verfahren dieser Randale in Bodo fest verankert - an einem Platz, den nicht mal er richtig kennt, und niemand kann in dieser Brutalität mithalten. Und LuLu schon überhaupt nicht; auch wenn sie die Pistole durchlädt. - LuLu, pah, die tut nur, was zu tun ist; und die kann nichts tun, wenn ich sie ficke und bepisse...

LuLu trug sogar vor Gericht ihre hohen schwarzen Stiefel, ein schwarzes Seidenkleid mit Schalkragen, schwarzes Make Up. Und als sie, noch im Saal, festgenommen wird schreit sie „Bullenschweine!“ und meint Bodo, die gehasste Sau. - Sie habe, sagt sie vor Gericht, die Randale in der Bar aus äußerst erhöhtem Seelendruck begangen; dazu käme ein extremer Alkoholpegel, sagt ihr Rechtsanwalt. Sie trinkt sonst nicht, sagen die Barmädchen unisono aus - und doch hat sie an diesem Abend mindestens zwei Flaschen Champagner intus. Die ergeben bei Ihrer Festnahme noch 1,2 Promille.

Über Bodo sagt sie vor Gericht nichts Schlechtes. Nicht ihrem Anwalt, nicht der Presse, oder der Polizei. Und sie erklärt auch nicht, wie der in die Abfalltonne gekommen sei; das Geheimnis bewahrt sie sogar gegenüber Andreas, obwohl der sie für Bodo bezahlt hat und ihr nun einen Rechtsanwalt stellt.

„Problem gelöst!“ Kann Andreas somit Doro melden. Und das ist es, worauf es ankommt: Probleme sind zu lösen, weiter nichts.


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Gustav Mahlers 2. Sinfonie c- Moll - Auferstehung, - genau das ist es, was Felix wieder auf die Beine bringt. Und damit geht es bei ihm dann bis zum Ende der Welt. Und wenn Doro bei ihm ist, auch noch einiges darüber hinaus.
„Weshalb zuckt er im Schlaf so heftig?“ fragt Doro den behandelnden Arzt.
„Neurologische Vorgänge, vermute ich, - doch was wissen wir schon ...“
„Und wie lange wird er noch brauchen?“
„Schwer zu sagen; doch bei ihrer Fürsorge ...!“


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Erdo Hassan kam im Alter von 12 Jahren in einem Boot aus Palästina nach Italien, von dort nach Deutschland; ein Illegaler mehr oder weniger, was macht das schon.... Wenige Jahre später ist er als anerkannter politisch verfolgter Staatenloser zum Flüchtling (gemacht) erklärt worden. Das Geld seines Onkels half dabei. Und Erdogans Fleiß. Ja, Erdogan heißt er richtig. Erdogan Hassan, wie der Onkel. Und fleißig war er ab dem ersten Tag in Deutschland. Und so mehrte sich das Vermögen des Onkels und auch Erdo hatte seinen Profit. Zudem ihn die Leute schätzten, bei denen er kassierte. Und wenn die mal Schutz brauchten, war er ebenso zur Stelle. Und das durchschlagend. Er war und ist eben für manche ein Guter. Und er wurde und wird Tag für Tag besser; fast ein Heiliger. - Es begann einst damit, dass er seinen Bart opferte - um seriös auszusehen - als er seinen ersten Laden, eine Pizzeria, übernahm die einer der Schuldner des Onkels nicht mehr halten konnte. Erdo konnte. Und er, der immer darauf Wert gelegt hatte muskulös zu erscheinen, deshalb zu enge T-Shirts trug, eine Lederjacke mit kleinen Schulterpolstern, der die Haare vorne kurz, hinten lang, pechschwarz und fettig trug, lies die Cowboystiefel weg, diese vorne spitz zulaufenden Killer, die halb hoch bis zum Knöchel gingen, so Dinger mit silbernem Reißverschluss und eingedrucktem Namen. Dazu trug er knallenge Jeans, den Schwanz gut sichtbar. Wegen der Mädchen. Alles in Allem trug er Klamotten, für die er nie die richtige Figur hatte, die ihn aber im Selbstwustsein stärkten. Dann, von einem Tag auf den anderen (also bei Übernahme des Ladens - des ersten eigenen ’Hassan’) tauschte er seine Kledage gegen einen dunklen Anzug, das Shirt gegen ein weißes Hemd (blütenweiß - ja, blütenweiß - unbedingt!) mit dezentem Binder und dunklen Schuhen. Und die mit einem kleinen wie unsichtbarem Absatz (sein Geheimnis). Und er wusste schon weit vorher (von seinem Vater, der im gelobten Land einen Gemüsestand betrieb), wie man einkauft, verkauft und ohne Auffallen ’ein bisschen’ betrügt.
Den Vater mit all seinen Onkeln und deren Frauen holte er (schon aus Personalkostenersparnis) aus Palästina nach; die arbeiteten allesamt illegal in der Pizzeria. - Später wurden auch die zu Flüchtlingen mit Aufenthaltsrecht ... und hatten bald darauf einen deutschen Pass, Wohnung, Führerschein und Anrecht auf soziale Leistungen und so weiter. Und die Familie wuchs. Erdos vier Frauen sorgten dafür. Und das nicht zu Letzt dank seiner Potenz - schenkten sie ihm jede Menge Söhne; die der Stolz eines jeden rechten Mannes sind, wie man weiß. Dazu eine Tochter. Eine einzige, seine Prinzessin. Der er in der Tradition zeigte, wie Liebe geht. Da war die acht Jahre alt und genau richtig, wie der Prophet sagt; obwohl Erdo sonst wenig auf den Propheten gibt. In der Sache allerdings, das gab er was drauf. Und das war auch gut so, wie sich später zeigen sollte. Denn bald war die Familie in der Lage im Kiez Präsenz zu zeigen. Präsenz, die Erdo für sich schon lange hatte - weil er schlau war und Deutsch lernte. Englisch. Französisch. Steuerrecht. Buchhaltung und so weiter und so fort. Und wie man eine Familie führt; geradezu vorbildhaft bediente er sich dazu bei der italienischen Mafia.


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„Auf Felix wurde eindeutig ein Mordanschlag verübt!“ ist Oberstaatsanwalt Glück sicher.
„Haben Sie auch schon einen Verdacht?“ fragt Doro.
„Sagen wir mal so ...“ zögert der, „wir ermitteln in alle Richtungen und haben deshalb den Tod von Felix Vater und den der Richterin Heisig in die Ermittlung einbezogen.“
„Sie waren doch ein Freund von Felix Vater?“
„Das ist richtig ... Doch nicht nur deshalb, meine Ermittlungen dienen der Gerechtigkeit!“
„Daran glauben Sie?“
„Wenn ich es nicht täte, wer dann?“
„Noch eine Frage: hat der Staatsschutz Unterlagen für mich bei Ihnen hinterlegt?“
„Ach ja, das habe ich beinahe vergessen. Warten Sie bitte, ich hole die aus dem Tresor.“


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Erdogan Hassan, liest Doro quer da sie das Meiste schon kennt ... Spitzname Erdo. Deutscher Staatsbürger ... in verschiedenster Form in Ermittlungsverfahren ... verfügt über zwei Stimmen im Rat der Großfamilien ... Unterstützer sämtlicher Motorradclubs ... stellt Türsteher ... erpresst Schutzgelder ... handelt mit Drogen ... betrügt systematisch ... erschleicht Sozialleistungen ... ist Kreditgeber ... treibt Geld ein ... lässt töten ... ist Bauunternehmer ... Zuhälter ... Bordellbetreiber ... Pizzafabrikant ... importiert Oliven ... ist Waffenhändler ... schleust Flüchtlinge ... besticht Beamte ... Nötigung ... Körperverletzung ... Mordanklage ... ist ohne Vorstrafen, auch da wo er herkommt, wo seine Eltern geheiratet haben, da wo sie den Kindersoldaten Erdo zum Töten ausgebildet haben. So ist eigentlich alles in Ordnung mit ihm, denn er ist er ein höflicher, leiser, und nicht schlecht aussehender Mensch. Doch andererseits ist überhaupt nichts in Ordnung mit ihm. Denn oft ist er ruppig, laut, gewalttätig und ein Menschenschinder - und tobt grundlos wie ein Irrer. Das kann Symptom einer Störung sein; die Ursache ist es aber nicht. Und so bleibt alles was er sagt und tut ohne Ort. Seine Wut, sein Hass ohne Akzent. Ist keinerlei Dialekt zu merken. Denn er ist wirklich einer der Wenigen, die nirgends herkommen und nie dazugehören. Und doch ist er der Glückspilz mit Familie, - hat Geld und Macht. Und alles was er beginnt, gelingt. Genau das ist wichtig für ihn. Der Rest der Welt, das drum herum interessiert ihn nicht die Bohne. Er lebt auf der Erde, die er sich macht. So einer ist er. - Erdo, der Barbar, sagte seine fünfte Frau in einem Anfall von Wahnsinn; seitdem sind Erdogans legale Frauen zu viert und jeder findet das normal. Was immer man normal nennt. - Immerhin hat er seine Nische gefunden, diese ruhige Ecke in der Wohnung direkt hinter der Moschee, - rückwärtig mit formidablem Blick zur U-Bahn und zuerst mit nichts als einer Matratze und einer Telefonleitung ausgestattet, dafür mit direktem Zugang zu einem Keller, der wiederum einen Ausgang in ein Haus auf der anderen Straßenseite besitzt, - ein Tunnel, der als Fluchtweg und Fluchtpunkt gleichermaßen geeignet war und ist. Denn inzwischen hat er das Haus daneben gekauft, einen Durchbruch geschaffen, ein Loft eingerichtet, wie man heute neumodisch sagt. Er führt einen Harem, würde man altmodisch sagen. Denn immerhin leben an die zwanzig Frauen und eben so viele Kinder in dem ehemaligen Fabrikgebäude. Jungen wie Mädchen, die sieben Tage die Woche in die vom Staat und Erdo Hassan als Pate großzügig geförderte Moschee zur Schule gehen, um den Koran zu studieren. Die Jungens, um Kämpfer wie Hassan zu werden. Die Mädchen, um nach den Regeln des Glaubens zu heiraten und Kinder zu kriegen. - Mit einigen der Mädchen hat der Pate allerdings Besseres vor, als die zu einer Scheinheirat zu zwingen; was soll man da noch lange erklären?

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Ein renommierter amerikanischer Psychologe ist davon überzeugt, dass in bestimmten Situationen jeder zum Gewalttäter und Mörder werden könne. - Von Reichenau gehört definitiv dazu. Manche Typen seien eben nichts weiter als ’Kakerlaken’, gefährliches ’Ungeziefer’, sagt er; also liegen bei ihm Herz und Hirn (Empathie?) in tiefer Finsternis, wie jeder leicht erkennen kann. Doch für die Partei gilt er (nicht nur deswegen) als Hoffnungsträger.
Von Reichenau verdrängt die Vergangenheit, legt einen Schatten über alles Gewesene, kramt die Zyankalitablette aus der Tasche, stellt sich hinter den im Lehnstuhl schlafenden Reichsführer und drückt ihm mit seinem Halstuch die Luft ab. Der Alte zappelt nur kurz und wird wie erhofft schnell ohnmächtig. Von Reichenau öffnet ihm mit leichtem Druck auf die Kauknochen den Oberkiefer. Steckt ihm die Tablette zwischen die gelben Zähne, spielt Nussknacker als er dem Alten von oben wie von unten kräftig auf Schädel und Kinn drückt. Von Reichenau hört ein trockenes Knacken, als würde er einen Käfer zertreten. Dann, als er dem Alten die Nase zuhält, beginnt der unmittelbar nach Luft zu röcheln, schluckt, krampft Sekunden später (fast rhythmisch), grätscht die Beine, zappelt, wirft die Arme in die Luft - bis sein ganzer Körper in ekstatisches Zucken gerät. Letztlich fährt das Böse aus dem Alten wie der Pudel aus dem Kern, verlässt ihn das Leben als wüst heulender Wind, mit Schaum vor dem Maul und im Geruch nach Bittermandel.
Schon allein aus dieser Tat hätte sich eine interessante Politikerkarriere entwickeln lassen, wenn von Reichenau nicht die Handlung so unnötig verkompliziert hätte. Denn hinterher Schuldgefühle zu empfinden, weil er sich vor des Reichsführers Tod mit dem nicht mehr in Ruhe über dies und das und über das Weiterbestehen der Partei beraten hat, darauf muss man erst mal kommen. Doch genau das geht ihm im Kopf herum und so vergisst er die Überwachungskamera, aus der Doros Männer wie gewohnt täglich gegen 21 Uhr per PC den Film des Tages kopieren.

Nun, als zukünftiger Serienmörder mit Lust am Schmerz hätte von Reichenau streng nach Drehbuch vorgehen müssen, doch so läuft das Alles auf einen mächtigen Vaterkomplex hinaus, auf Grenzen überschreitenden Eigenkannibalismus - übermittelt durch rätselhafte Nachrichten aus dem Jenseits, die ihm befehlen jenes zu tun und anderes zu lassen, meint er entschuldigend. Es passiert (also mit) ihm eine Art selbstquälerische Teufelsaustreibung zwischen Maskerade und Demaskierung. Und somit hat Doro ihn per Transgression fest in der Hand. Nur, dass von Reichenau nichts von einer derartigen Bindung im Dasein weiß und auch nicht, dass er fremdbestimmt Handelnder in einer längst verlorenen Schlacht ist und, dass das bis zu seinem Tod wegen unmäßigem Kokain- und Wodkaverbrauch so bleiben wird. Doch noch ist es Zeit; auch wenn er seine liebe Not haben wird die nächsten Stunden seiner Karriere heil zu überstehen.

„Der bleibt nur so lange Boss der Partei, bis du wieder auf eigenen Beinen stehen kannst“, tröstet Doro Felix.
„Und dann?“
„Machst du mit ihm, was du willst!“
„Einfach so?“
„Ja! - Immerhin ist von Reichenau der Mörder deines Erzeugers!“
„Das quält mich weniger...“


***
Er hat es knallen gehört. Metallisch. Hart. Wie im Film - die Scheibe splittern sehen. Links neben sich. Um 20 Uhr und ... Dann war Blut im Haar. Knallt es ein zweites Mal. Reißt ihm den Kopf nach hinten. Wird alles rot. Werden 33 Jahre Leben zu einer Minisekunde. Sind Kopf, Hände, Kleidung voller Blut. Ist es aus mit charmant sein. Mit stets guter Laune. Mit Sonnenbräune im Gesicht. Muskeltraining im Fitnessclub. Schießausbildung. Kampfsport. Endlos vögeln. Krümmt sich der baumlange, blendend aussehende Mensch zusammen. Zerfällt. Ist Ende. Fini. Hilft auch keine Lichtregie, oder Schminke; denn es blickt ihm der Tod durch die zersplitterten Rippen; als rüttelt jemand zum Abschied an seinen eingeklemmten Nerven; rockt Blues persönlich in höchsten Tönen auf einer irre gewordenen Gitarre.
Klar, selber bewegen ist nicht. Nicht nur wegen der zwei Löcher im Körper. Trotzdem will er raus. Aus der Karre. Und kann nicht. Befindet sich kurz vor der Villa, in der Doro auf ihn wartet. - Unser bester Mann, sagt die gerade. Doch das hört er nicht, - der Beste. Sieht nicht, wie der BMW davonrast. So ein dunkles Teil - mit Auspufftöpfen wie Ofenrohre. Der über die Straße schlingert, ein anderes Auto streift; den Seitenspiegel verliert. Er weiß nicht mal, dass er schreit ’Ich will nicht sterben!’ Doch er wird. Denn es ist wie an Silvester: Böllerkrachen und Sternenregen, bevor es um Mitternacht so richtig abgeht, - da liegt er immer noch auf dem Tisch. Und es riecht streng nach Desinfektion und muffig nach sterbendem Verbandszeug. Herrscht Faustrecht im OP, als er sein Leben verliert. Weil die Monitorkurve immer schwächer blinkt. Das Licht zuckt, erlischt. Einer der Ärzte auf ihm kniet, schlägt, drückt und seinen Brustkorb presst. Während draußen nach ’Gewalttätern aus dem Bereich der organisierten Kriminalität’ gefahndet wird - und Doro um ihren besten Mann weint, der wenige Meter neben Felix Krankenzimmer seine letzte Reise anritt. Der bis dato einer der Teamführer im Verein war. Spitzname ’Blondie’. Und die Aufgabe hatte, Clanchef Hassan zu beobachten; fast wie Cowboy und Indianer spielen. Für Hassan. Doch eben nur fast. Der übrige Rest wäre ein extremer Gesichtsverlust. So musste Clanchef Erdo Hassan das Machtspiel gewinnen. Muskeln zeigen. Ruhe reinbringen. Härte. Deutsch reden. Durchgreifen. Zeigen, wem der Kiez gehört. Von wegen Erfahrung und Vorschrift; Gesetze und so. Papphütchen und Aldisekt. Beinahe zum Lachen. Ein Kerl von einem Mann, und so hilflos gegen den Tod. Bleiben Blutreste an Instrumenten und Kilometer Verbandstoff. Und Doro. Die psychisch leicht angeschlagen. Hält sich an einer Kaffeetasse fest. Steht auf dem Balkon der Villa und raucht. Denkt. Auch an Felix. Von wegen Tod und Lebensrhythmus. Was es nicht unbedingt leichter macht, eine Liebesbeziehung überhaupt zuzulassen.


*
Ohne die Zeitungsmeldung hätte Felix vom Tod des Großvaters nicht gewusst. - ’Suizid eines Altnazis’, steht auf Seite 2 in der Bildpresse. Auf Seite 1 prangt irgendwas von ’Bauer sucht Frau’, - ein Foto, wo ein fetter Kerl eine knochige Kuh aufreitet. Da steht in der FAZ und in den anderen meinungsbildenden Gazetten schon mehr über den Großvater. Von wegen Judenvernichtung, Ratibor, Himmler, Freisler. Ja, kunterbunt geht es dort zu; voll das Leben des kleinen Moritz von heute. Doch nicht zu Letzt wird zur Mahnung ein Foto von Eichmann am Galgen gezeigt: „Gleichwie Weiber dein Schwert verwaiste, muss aus Weibern deine Mutter verwaisen.“ Wird über Göring berichtet, der ja bekanntlich mit Zyankali ... wie der Führer ... und die Familie Goebbels, mit dem Haufen unschuldiger Kinder im Bunker der Reichskanzlei. Doch all das Buchstabengedröhn berührt Felix nur peripher. Wie ihn auch die Zukunft der Partei momentan wenig berührt, - der ja nun erstmal von Reichenau vorsteht. Und noch weniger Lust verspürt er, der Trauerfeier für den Großvater beizuwohnen. All die schweißigen Hände im Gefühl ’heute gehört uns Deutschland’ zu drücken, die Ehrerbietungen ’Sieg Heil’ alter und junger Nazis erdulden zu müssen. Deren markige Reden, ab wann zurück geschossen wird. Die laute Musik vom Westerwald. Und wie die bunten Fahnen voran knattern. Dazu die gegrölten Proteste ’Nazis raus’ der Andersdenkenden - wie die folgenden Prügeleien, die wie immer eine Spur blutiger Randale durch die Stadt tragen, als wäre Deutschland im Krieg. - Doch eventuell befindet sich Deutschland im Krieg; schon allein wenn man an Europa denkt. An die unermüdlichen Lobbyisten. Finanzhaie. An skrupellose Geschäftemacher. Diktatur des Kapitals. Die unersättlichen Märkte. Banken. Börsen. Boniabschöpfer. Steuerhinterzieher. Politversager. Betrüger. An all die sozialen Ungerechtigkeiten. - Doch so oder so, er, Felix, will sich aus all dem raushalten. Und das ist besser als nur gut so, auch wenn Doro mit ihm - bezogen auf die Partei - andere Pläne hat. Doch privat sieht das wesentlich freundlicher aus, da ertönt einschmeichelndes Glockenläuten - und das Glück ist eine blutrote Rosenknospe im Morgentau. Ist Sehnsucht pur; genau wie die Gruppe Schiller singt: “Heute will ich dir zu Liebe Rosen fühlen, Rosen fühlen - dir zu Liebe, dir zu Liebe heute lange, lange nicht gefühlte Rosen fühlen: Rosen!“ - Und Felix sieht sich in seiner Meinung bekräftigt, dass nichts ohne Sinn und wie Zufällig geschieht. Nicht der Schmerz, nicht das Glück. Wie das Leben, so der Tod. Die Liebe.


*
Von Reichenau besucht Felix im Krankenhaus.
„Wie lange willst du denn hier noch rumgammeln?“
„Ich habe echt keine Ahnung.“
„Du hast aber eine Aufgabe!“
„Die du gerne übernehmen möchtest?“
„Ja. - Kann ich!“
„Meinetwegen. Mach!“
„Unterschrieben?“
„Unterschrieben!“

„Es kann losgehen, Jungs. Aufsitzen!“ Befiehlt von Reichenau den sechs Ultra- Typen, die vor dem Krankenhaus warten. „Denn jetzt holen wir uns einen Kanaken, Kameraden!“ - sein heiserer Schrei.
Und sie holen einen, der kaum achtzehn Jahre alt ist. Walid, den Streitschlichter aus dem Rollberg- Kiez. Da fahren sie im Kombi vor, rufen ihn zu sich ran. Und als er der Karre nahe genug steht springen drei raus, packen ihn und zerren ihn Richtung Schiebetür. Dort greifen ihn die anderen von innen und zack, liegt er auf dem Bauch. - ’Walid’ - hört er noch; wohl seine Schwester; doch da rast der Wagen schon los und ihm biegen sie die Arme auf den Rücken und stecken seinen Kopf in eine Tüte stinkender - was auch immer - Kacke. „Zur Kiesgrube!“ Befiehlt von Reichenau. „Party machen!“ - Die Tür vom Wagen öffnet sich. Irgendwer richtet ihn auf, zieht ihm die Tüte vom Kopf - und tritt ihm ins Gesicht. Blut spritzt. Gülle fließt ihm aus dem Mund. - Musik hört er. Rammsteins ’Völkerball’; er kennt den Titel, - spuckt Blut und Kotze aus, um nicht daran zu ersticken. - Sie stoßen ihn aus dem Wagen; er hockt im Kies. „Walid heißt du also? - Ein alt germanischer Name“, lacht einer. Doch ehe er antworten kann, schlägt ihm jemand eine Flasche über den Schädel; Glas splittert und ihm wird kotz schlecht. „Nicht so fest, du Idiot, sonst krepiert er uns ja gleich ...“ Und in einen erneuten Blutfluss hinein röchelt er, statt einer Antwort. „Er will was sagen...“ Gefährlich das verbrannte Kind. „Stopf ihm das Maul!“ Und einer ohne Gesicht tritt ihm gegen den Kopf, schreit „Sieg Heil!“ bevor er auf ihn uriniert, ihn auf den Rücken dreht, in seinen Mund pinkelt.
Dunkel ist es inzwischen; sowas wie eine Fackel brennt. Rammstein wummert. „Geile Party!“ hört er, als ihm jemand mit der Hacke gegen den Kiefer tritt, - der mit einem lauten Knacken bricht. Nicht mal um Hilfe rufen kann er nun mehr, stöhnt nur leise in sein Blut. Hört, dass er ganz schön beschissen aussehen würde - als eine Flüssigkeit über sein Bein läuft, die gleich danach hell aufflammt, während er betet: ’Mama ich liebe dich!’, und einer ’Mann gegen Mann’ brüllt, während schon seine Fußsohlen brennen ... Doch das war alles keine Absicht - die Zeitungen schreiben was von Streit unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Von Schubladendenken. Konflikten zwischen Vater und Sohn. Familienzwist. Drogen. Aber auch, dass die Leute sagen, dass er ein besonders lieber, freundlicher und herzlicher Mensch - und ihr Freund gewesen sei. Mancher erzählt auch von Feuer das die Haut verbrennt. Bang! Bang! Einfach so. Und eigentlich ist es ein schöner, warmer Sommertag; eher was für die Badeanstalt. Bang! Bang! Ich baue dir ein Schloss, hoch oben auf dem Mond. ’Stein um Stein!’ - 9.031 Mal wurde der Name Walid angeklickt. Achtzehn Kerzen angezündet. Alle von Mila; deren Namen 1.789 Mal geklickt wurde. Facebook liebt euch. Gefällt mir! Like it! Und auf You Tube kann man 6,8 Millionen likes für Rammstein sehen. Leah West, Beyond Words Album Version bekommt nur 16.800. Typisch für ein Liebeslied. Chep Mami mit Desert Rose - Layli ya layli ya und Sting im Gefolge immerhin 996.775 Klicks. - Und von Reichenau ist auch mal wieder davon gekommen, - denn Schwule können die Nazis nicht ab; von wegen Bettnässer und ausgeleiertem Arschloch; dieser fead ’Brown Sugar’ Mist. Und von Reichenau weiß davon, fürchtet sich, geoutet zu werden. Von wegen Reichsführer der NDPD werden ... Nada!


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Felix zu sagen dass Lana lebt, ist Doros Problem. Eben erfuhr sie davon aus Tel Aviv. Eine HUMINT Quelle hat offen gelegt, dass die Aktion Ehrenmord seinerzeit nur das Ziel verfolgte, Lana und Felix voneinander fern zu halten. Und dafür war Clanchef Hassan sogar bereit, sich mit der Presse auseinanderzusetzen, das Geheul der Massen über einen Ehrenmord zu ertragen, der definitiv keiner war. Und das nur, um die Familienehre wieder herzustellen; so weit muss man erst Mal denken. Und nun hat Lana (auch noch) ein Kind geboren. Und das sieht nicht ihrem jetzigen Mann ähnlich, sondern ist weißhäutig wie Felix, behauptet der Informant und hat als Beweis ein Foto vorgelegt.
Zumal der Zeitpunkt genau passt, wie Felix sich sofort an das Picknick an besagtem Abend im Park Hasenheide erinnert. An ihr erstes Mal!
Im Gedanken daran verliert er die Fassung, Tränen schießen ihm aus den Augen, Speichel läuft - steckt er sich die Faust in den Mund, um nicht laut loszubrüllen bei der Erkenntnis Vater eines Kindes zu sein, das ihm ’seine’ Lana geboren hat ... Doch was nun?

„Ich muss hier sofort raus - und nach Lana suchen!“ geifert er, und strampelt das Bettzeug fort.
„Warte noch zwei, drei Tage und dann helfe ich dir. Ich muss noch ein paar Dinge vorbereiten und dann können wir los; wenn du mich überhaupt dabei haben willst?“
„Natürlich will ich dich dabei haben. Und das nicht nur, weil du die Landessprache sprichst ... Aber sag mal, wo befindet sich Lana überhaupt, und wie heißt mein Tochter? - Ach ... ich bin aber auch sowas von durcheinander; mir ist ganz schwindlig ...“
„Hat die Beruhigungsspritze nichts gebracht?“
„Doch, doch. Aber eventuell hat gerade die es noch schlimmer gemacht; ich weiß nicht, was ich denken soll, alles rotiert, macht mich irre. Es ist Wahnsinn. Und wenn ich was denke, ist es gleich wieder weg; guck hier: ich habe schon überall hektische Flecken!“
„Ja, das kann man vorher alles schlecht wissen. - Doch nun der Reihenfolge nach: deine Tochter ist 4 Monate alt und heißt Gadi!“
„Gadi? Das klingt wie Musik, Frederic Chopin - Nocturnes complete, und ist sehr, sehr schön!“
„Und bedeutet ’mein Glück’ ...“
„Und - wo wohnt ’mein Glück’?“
„Wie - bin ich es nicht?“
„Natürlich bist es vor Allem DU, - aber Gadi ab eben natürlich auch!“
„Gadi wohnt mit ihrer Mutter in Riad, in Saudi Arabien.“
„ ...und dort ist sie verheiratet?“
„Ja. Lana hat auf Befehl ihres Vaters in den Clan ’bin Laden’ geheiratet. Und das ist für den Hassan Clan nicht billig gewesen. Man spricht von 10 % seines Vermögens. Doch dafür hat er nun eine Verbindung in eine arabische Top Familie; - man soll ihn auch schon bei allerlei Feierlichkeiten in Riad gesehen haben.“
„Und wie stehen unsere Chancen Gadi zu sehen?“
„Ohne Zustimmung von Lana läuft da überhaupt nichts, doch die setze ich einfach mal voraus; unsere Aussichten stehen trotzdem nicht höher als etwa fünf Prozent...“


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Herrentag. Von Reichenau hockt nackt auf der untersten Stufe in der Sauna; wie eine Made sieht er aus. Vor allem wenn die Steine glühen und kurz bevor der Dampf alles vertuscht sieht ein jeder, was er ist. Dann sind es allein die duftenden Birkenzweige, die Sinn machen. Der Rest ist stinkender Schweiß, der herabtropft. Besonders unangenehm wenn der von oben auf die stufenförmigen Bänke trifft, aufspritzt und sich verteilt. Auf das weißliche, weiche, schlaffe, auf das wehrlose Nackt des von Reichenau. Wobei von Reichenau mit Vorsprung der hässlichste unter den Tunten hier ist, der überhaupt keinen Schutz über dem Fett seines Körpers zu haben scheint, der einem geschälten Krustentier gleicht mit seinem blanken Balg. So blass, rosig und säuerlich im Geruch. Dazu die zipfeligen Brüste, die üppig wie bayerische Balkongeranien hängen, nur unbehaart. Einzig seine Visage hat im Ansatz Klasse. Ist nordisch. Ernst und hart. Wie die seines Urgroßvaters auf dem legendären Foto bei Langemarck, als der seinen Heldensohn besuchte. Ein deutsches Gesicht eben, das besonders am Grab gefasst und mit Heiligenschein zu sein hat. Und doch nichts weiter als eine Maske zeigt. Wie die weißen, schlaffen nackten Glieder in der Sauna. - Leichnam mit Sommersprossen auch der von Reichenau. Und unendlich müde. Der nur hin und wieder den Arm zum Schweiß abwischen hoch bringt und dabei vor Anstrengung zu zittern scheint wie dieser Schleim, der ihm an der Nase hängt. Eine Art Riechkolbenkrätze, die vom Kokain aufsaugen kommt, sagt man. Und das Zeug breitet sich aus, bedeckt ihn, macht ihn wehrlos, schuldig. Nicht nur die Haut, seine Knochen, - das deutsche Blut in Treue fest. Es ist die Furcht vor sich selber; vor dem Mörder in selbst genähter deutscher Uniform, der einen wehrlosen alten Mann gerichtet hat. - Meine Güte, wenn das die Kameraden wüssten: von Reichenau schwul UND Mörder des NDPD Reichsführers; ihres Besten! Und was für eine pervertierte Seele sich sonst noch so unter dem Feldgrau der deutschen Uniform verbirgt; ein sich schämender Leichnam, schüchtern und mit einem Bündel Birkenzweigen in der Hand; von wegen ’Heil Hitler!’. Nichts als Selbstgeißelung. Und auch die nur mit halber Kraft. Denn es ist alles so weich ... und wehrlos an ihm; sein Blick längst der von einem Fisch am Haken. Kurzsichtiger Basedow, als sei sein Kopf bis obenhin mit Wasser angefüllt. Von wegen Stolz, - als von Reichenau seine Hände faltet, auf die Knie legt und mit ruckartiger Oberkörperbewegung zu beten anfängt, - ähnelnd er in der Haltung eines bestraften Schülers im Karzer. Doch es ist von Reichenau in der Herrensauna als schweinchenrosa Erscheinung in beweglichem Fett mit rötlichem Restschamhaar, in denen ein unscheinbarer Penis ringelt. Wo unter dessen kleinem Ding die Hoden wie Schweißtropfen glänzen. Während von Reichenaus ’Amen’ sagen sich mit einem Typ der „Heil Hitler!“ brüllt trifft. Und dieser Mann - mit Plattfüßen, kurze Arme hängen seitlich an dem herab als gehörten die nicht dazu, hellblondes Haar als Lichtkranz um den Schädel und mit einer Stimme ausgestattet wie Starkregen auf Fensterscheibe - grölt „Ich bin ihr Masseur!“, Birkenzweige hebt und unvermittelt auf von Reichenau eindrischt. Erst wahllos, wie es scheint, dann heftiger und schnell und schneller auf Schulter, Rücken und Gesäß schlägt und das mit immer größerer Wildheit und gezielt ... Ein Schweißbach wie aus einer porösen Wasserleitung rinnt aus von Reichenaus Poren. Sein Penis scheint entspannt und lässt glitzernde Bäche Körperwasser auf den Boden klatschen. Sein Hinterbacken zittern, aus seinen Brustwarzen spritzt salziges Sekret. „Heil Hitler!“ brüllt sein faltiges Fleisch, das rot wird wie sein Atem, während ein erzwungenes Lachen ihn einengt. Das hysterisch wird. Wut und Angst verrät, als die Gerten ihm wie irre die Flanken peitschen, - von Reichenau sich windet und nach allen Seiten krümmt bevor er die Arme nach vorne streckt, als ob er sich Platz zu verschaffen sucht, aus der Kabine flüchtet um mit Kopfsprung in einen Pool mit eiskaltem Wasser zu springen; ein Drogenentzug der besonderen Art.


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Doro, könnte man denken - auch weil die immer so adrett aussieht, wäre mit einem weißen Segelboot von sonst woher nach Deutschland gekommen und nicht aus einem existenziellen Krieg, - den einst Israel führte.
Doro, könnte man denken, hat eine endlose Weite im Gemüt, ihr Leben wäre ein Bild von einem Stück Großzügigkeit wo alles seinen Platz findet und der erste Kuss wie der Letzte ist. Wie ihr Atem.
Doro, kann man wissen - denn es ist kein Geheimnis, bewohnt in Berlin eine klassische Altbauwohnung mit hohen Decken, Stuck daran, einigen Putten, Parkettboden, 5 Zimmern - wo eins davon ein wunderhübsches Erkerzimmer ist, und das Bad gekachelt ist wie die Küche.
Doros Wohnung befindet sich im fünften Stock ohne Fahrstuhl.
Doro steht momentan in der Küche und kocht Kaffee; sitzt ansonsten, und später mit dem Kaffee in der Hand, in einer Sitzecke aus zusammen geschobenem Sessel und Zweiersofa unter einer Leselampe mit Ocker Schirm aus den 30er Jahren. Die Wände der Räume um Schränke und Nussbaumsideboard herum und die auf dem langen Flur sind mit Bildern herausgeputzt, die sie Stück für Stück aus den Trödelmärkten der Stadt klaubte. Auch ihre Schellackplattensammlung hat sie von dort. Ihre CDs und LPs. Gerade hört sie Marianne Faithfull ’Crazy Love’ in den hohen, schönen hellen Räume, - und denkt dabei an Felix. Und auch hier wieder an die endlose, weiße Weite die ihr Leben bisher ausmachte. An ihren Feldzug gegen Gewalt, in dem Liebe bisher wenig Platz fand. Und immer ist das dieses Lächeln, - strahlt trotz all den Schicksalsschlägen dieses bezaubernde Lächeln. Eines, das zeigen soll wie gut es ihr geht. Obwohl es ihr nicht immer gut geht, - denn sie musste aus Notwehr schon Menschen töten - und hat seit dem nie wieder richtig durchgeschlafen; sei es die Angst, sei es das Gewissen. Und deswegen erscheint dem, der genau hinschaut, dieses ewige Lächeln ab und an auch irgendwie gequält. Als wenn Doro etwas verfolgen würde. Und auch dann erst sieht man die tiefen Ringe unter ihren Augen, die sie sonst geschickt wegschminkt, weil sie überhaupt und täglich Egypt-Wonder aufträgt um gesund zu erscheinen. Eine richtige Frau eben, diese Doro, die aber manchmal handeln muss wie ein Mann; wie ein ganzer Kerl.

An manchen Tagen raucht sie Kette, obwohl sie sich das Rauchen längst abgewöhnt hat. An manchen Tagen trinkt sie. Obwohl sie ... An manchen Tagen tickt sie nicht sauber, sagen ihre Kollegen, dann denkt sie an ihre Eltern - die von Terroristen ermordet wurden. - Selbstmord, die Mutter von Doro, sagt einer ihrer Kollegen, die ist erst vergewaltigt worden und dann unsagbar gequält... und dann hält er sich doch lieber den Finger vor die Lippen, denn wenn Doro nicht sauber tickt, tobt sie - oder ist am zusammenbrechen. Sie läuft dann ruhelos von da nach dort und von hier nach da, raucht, bis das Herz schmerzt ... und hasst Araber. Manchmal kann sie darüber reden. Doch meist nicht. Kein Wort. Was bleibt ist das gequälte Lächeln - und wie jetzt Marianne Faithfull, von der sie nun ’What have they done to the rain’ hört. Danach legt sie von Vashti Bunyan ’Winter is blue’ auf, damit sie die Araber nicht so hasst, - weil Hass blind macht.

Doro ist in einer Pflegefamilie in einem Kibbuz am Südende des Sees Genezareth aufgewachsen. Sie hat in Haifa Abitur gemacht und ist dann zum Militär gegangen. Beim Militär war Doro Offizier im Nachrichtendienst. Und nach fünf Jahren Militär, in denen sie erfolgreich ein Soziologiestudium abgeschlossen hat, ist sie aus dem Dienst ausgeschieden, hat ihre Doktorarbeit geschrieben und bei einer Unterabteilung des Mossad begonnen in Deutschland zu arbeiten weil sie deutsch spricht und es hier jede Menge Feinde Israels gibt; ist doch logisch, oder?

Doro ist hübsch und selbstbewusst, ist 1,78 m groß, schlank, mit schwarzen langen Haaren die sie meist zusammengeknotet trägt. Und um schlank zu bleiben und fit, treibt sie Sport. Joggt täglich. Trainiert drei Mal die Woche Nahkampf. Schießt wöchentlich. Reitet ab und an. Schwimmt. Isst fast alles. Und glaubt, sie sei in Felix verliebt.
Doro trägt mit Erlaubnis deutscher Behörden zum Selbstschutz eine Waffe.
Eine Pistole. Die zwar nicht ständig, aber fast immer.


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Hassan heißt Hassan. Hinten wie vorne. Wie Otto Otto. Und irgendwie ist das voll lustig, nur anders, oder auch nicht. Denn sein Vater heißt ja vorne Erdogan und nur hinten Hassan. Wer ist also der König? Klar: Hassan! Weiß Junior die Antwort.

In den Monaten im Exil (dahin flüchtete Hassan wegen der Körperverletzung an Felix; die Anklage lautet übrigens immer noch auf versuchten Totschlag - der Prozess wird aber durch geschickte Strafverteidiger über die Zeit geschoben) ist er älter geworden. Reifer. Ist sich selbst geworden. Und ist zu sich gekommen, behauptet er. Und das er ein Ziel habe. Zum Beispiel will er nie wieder irgendwelche Idioten klatschen. Kartoffeln. Deutsche Vollpenner. Auch keine Schwulen mehr; und hat dazu einige Einflüsterer in seinem Umkreis die ihm sagen, was richtig ist und nicht. Und die sind Leute mit radialem Einfluss. Noch. Leute, die über ihn unbedingt an Machtfülle kommen wollen. An Geld. Ans große Geld. Die nennen das Familienzusammenführung und beabsichtigen die drei großen Clans in Berlin unter Hassans Führung zu stellen. Und dann den Rest der Clans in Deutschland ... Und dann ... Jedenfalls sind diese Leute hinter Doppel- Hassan welche aus der Gruppe um Bin Laden. Und die wollen nicht nur das große Geld, sondern auch ihre Religion an die Front stellen. Den Islam. Den heiligen Krieg. Das Kalifat. Den Dschihad. Die haben Dinge vor, da sollten den Kuffär die Eier schmerzen ... wenn die davon wüssten. Und dabei lachen sie und denken mit Stolz an ihre Selbstmord- Kämpfer; doch davon weiß (selbst) Hassan nicht, - der ahnt nicht mal. Wie auch sein Vater Erdo nicht das Mindeste ahnt ... was könnte er auch tun, wenn ihn sein Gott zum Sterben befiehlt? Nichts! - Also stirbt er.

Es gibt einen direkten Tatzeugen, den hat Doro auf Kamera- Chip. Doch wenn die den preisgibt, der aussagt, ist er tot; ... demnach sei Hassan Junior betrunken zum Essen erschienen, von Erdo dann zum Ausnüchtern weggeschickt worden. Zehn Minuten später aber mit einem schwarzen Kampfstirnband (jenes Teil aus Seide mit aufgedruckter Faust, einst von der Mutter geschenkt) und roter Karateweste zurückgekommen und hätte ohne ein Wort zu sagen aus einer automatischen Waffen gefeuert, ein Blutbad angerichtet.

Erdo stirbt noch bei Tisch. Zwei von Hassans Brüdern und eine seiner Schwestern in den nachfolgenden 24 Stunden. Der Onkel, sein Namenspatron, wird auf der privaten Intensivstation eines Familienmitglieds am Leben gehalten. - Gut, der Doc führt zwar sonst nur Schönheitsoperationen durch, es sollte aber reichen den Onkel am Leben zu halten, bis der seinem Neffen Hassan Generalvollmacht erteilt hat. Als das im Beisein eines befreundeten Notars dann geschehen ist, dreht Hassan dem Onkel persönlich den Hahn zu.

Die ganze Angelegenheit - von Vater bis Onkel - wird als Unfall getarnt, bei dem die automatische Waffe von selbst losgegangen sei; fast wie bei den beiden Nazis der NSU, die sich mit einer Pumpgun aus Versehen selber erschossen haben. Man muss nur die richtigen Leute schmieren, Politiker, Justiz und Presse, dann wird so ein Schwachsinn geglaubt. Wegen der Nazis gab es dazu öffentliche Proteste. Bei Hassan bleibt alles ruhig; wer hat auch schon Interesse sich mit der Mafia anzulegen, zumal so oder so die Wahrheit nie ans Licht kommen wird, ob man einen Platz im Gerichtssaal hat oder in der Kneipe ’Zur letzten Instanz’ gegenüber vom Kriminalgericht Berlin- Moabit, wo alles immer weiträumig abgesperrt wird wenn Hassan den Staatsanwalt besucht.

Erdogan, besser das, was von ihm übrig geblieben ist und die anderen Verunfallten werden mit großem Gefolge auf dem Promi- Park- und Waldfriedhof Heerstraße beigesetzt. Bei Erdo munkelt man was von einem Ehrengrab (wegen der Verdienste um die Stadt) und so. Doch richtig sei die Sache noch nicht durch den Senat, erklärt der für jeden rüden Spaß zuständige Bürgermeister dem neuen ’König’ Hassan.

Nach erneuter eingehender Befragung von Zeugen und Familienangehörigen wird man ein halbes Jahr später offiziell zu dem Schluss gelangen, das es tatsächlich ein Unfall gewesen sei und die Familie Hassan nach wie vor wichtig für die Stadt sei (hier erinnert dann der Bürgermeister nachdrücklich an das Engagement der Familie Hassan beim Flughafenneubau), zumal Hassan als Musikproduzent mit seinen Songs gegen rechte Gewalt auch für den Integrationsbambi im Gespräch sei.

Gerüchteweise war schon vorher bekannt, dass eine Machtverschiebung innerhalb der Familien stattfinden werde, doch welche - benannten die nicht. Und da es sehr viele Unstimmigkeiten und Fehlinformationen gab und gibt, zum Beispiel über den angeblichen Unfall, den Flughafenpfusch, Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Bildung einer kriminellen Vereinigung und so weiter und so fort kann natürlich jede Verschwörungsthese auf fruchtbaren Boden fallen. Nur bei dem Nazi- Döner- Prozess nicht, da geht es um Sitzplätze. Und um sonst nichts weiter.


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Es gibt Tage, da muss man für den Erfolg eine Menge tun.
Für Cap ist heute so ein Tag. Und um den heutigen Tag und die nächste Zeit eindrucksvoll zu gestalten, trifft er sich mit Hassan.

„Klar, so viel Zeit muss sein“, sagt der, „einem alten Kumpel aus der Scheiße helfen“, - zumal es sich bei dem Kumpel aus Jugendzeit um einen Schauspieler handelt; zwar noch C- Prominenz, doch das will man ja nun gemeinsam ändern.
Hassan und Cap treffen sich deshalb vor der Untersuchungshaftanstalt Berlin- Moabit, - und haben ein paar Presseleute dazu gerufen, weil man GUTES TUN eben nicht im Stillen tut, denn das würde ja keinen Sinn machen. Und vor dem martialisch aussehenden Gittertüren- Eingang in den Knast sind dann wie befohlen in Reih und Glied Kameras aufgebaut, lümmeln ein Haufen Menschen, röhren Motoren, Ferraris, Maseratis, bollern Harleys im Bass, blitzen Lichter, ertönt laut Beifall als Hassan und Cap im Porsche vorfahren, - werden markige Worte über Integration und Gefangenenhilfe gesprochen, gesellt sich der Anstaltsleiter dazu (dessen Ehefrau erfolgreich das Theater am Schillerhof leitet) und erzählt begeistert über die neu gegründet Theater AG, deren Regie Cap übernimmt und für die Hassan das Geld gibt. Ja, auch ein Filmprojekt sei geplant, doch da fehlt noch die Zusage der Filmförderung Berlin durch den Bürgermeister, der auf jeden Fall Film- Pate werden möchte; dabei bin ich doch hier der Pate, amüsiert sich Hassan über den Anspruch des voll verblödeten Bürgermeisters. Punkt. Aber...

„Wir brauchen ihn“, sagt Cap.
„Noch!“ ist Hassan sicher, „denn bald haben wir unseren eigenen Mann an der Spitze. Einen Ehrenmann!“
„Und an wen denkst du da?“
„An ihn, der Erdung und Aufbruch ist, - den der Prophet uns schicken wird.“ Und dabei denkt er an sich (an wen sonst?), weil er ja schon da ist und sich am Vergehen und Entstehen beteiligt sieht.
Für Cap kann das nur von Vorteil sein. Und so lässt er sich liebend gern mit Hassan fotografieren, spricht vor dem Knast ein paar Worte in die Kameras, umarmt den Freund, gibt Autogramme und ist wieder weg.

„Und nun starten wir durch!“ Ist Hassan zufrieden. Denn besser als mit dem Sunnyboy Cap an der Seite kann man die eigene Karriere nicht anfahren. Yepp, er wird Cap zum Geliebten der Masse machen. Zum Star jeden Alters. Und die Fans werden Schlange stehen, denn er wird Cap einen Film spendieren in dem der zum Held wird, zur Legende; auch wenn er durch Liter voller Blut waten wird. Durch Kot. Eine Horde Kerle töten muss und das dampfende Grauen der Schöpfung aus dem Orkus kübeln wird, - es wird ein Erfolg werden, versprochen, - denn du wirst einen Heiligen spielen, Cap, einen unantastbaren. Du wirst Star in einer unverschämten Art und Weise sein. Wirst Träume wahr werden lassen, eine Art von rücksichtloser Freiheit leben, die sich nimmt was sie braucht. Frauen und Macht. Also das was sie alle wollen - und das so radikal wie du; - wie der Prophet, den du spielst. „Und merke die eins, Junge, man muss immer sehen, wie weit man gehen kann, - Cap, hörst du. - Man muss immer sehen, ob man schon weit genug gegangen ist. Und wenn man dir sagt es sei genug, dann gehst du weiter, immer weiter; hörst du, Cap; - Cap?“
Ja klar -, Cap hört den verlausten Bettler Ecke Ku- Damm Wilmersdorfer den wunderbaren Hassan um ein paar Cent fragen und sieht wie Hassan die Pistole zieht und den Bettler erschießt wie einen streunenden Hund. „Immer weiter gehen ..., hörst du, als wenn nichts geschehen ist! Und wenn die Polizei dich fragt, hast du nichts gesehen!“

Später darauf angesprochen erklärte Cap, sich in dem Moment geschämt zu haben, aber nicht gewusst zu haben wie da jemals wieder raus zu kommen wäre. Und das die geballte Scham, diese irre Schuld ein traumatisches Desaster gewesen sei und immer noch ist. Und das die Seele ihm körperliche Sinnbilder prägt, die sich ihm im Schauspiel abdrückt; ein Akteur der anderen Art, verstehst du? - Schuld und Kreativität gleichermaßen -, die mich ins Dominastudio getrieben hat um Erfüllung zu finden, wenn ich keinen Film drehte; denn irgendwie musste ich mich ja selber aushalten, diese grausame Krankheit Ich. Und auch Hassan, der ab dem Mord an dem Bettler über mein Leben verfügt. Verstehst du?

Goethe beschreibt den Prozess des Erwachsen werden in ’Wilhelm Meisters Lehrjahre’. Cap lernt die Trümmer der Schauspielergesellschaft auf andere Weise kennen. Lug und Betrug friert ihn auf seine Art. Auch die Angst ist wilder in ihm, - ist eine Brennstufe als Reibung zwischen Ideal und Realität. Ist der Wahn des schuldig Kranken, das Blut des gebrochenen Helden der von zu vielen Verbrechen weiß. Und auch davon, was noch kommt.


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Doro ist an Felix gescheitert, und das nicht nur ihrer Liebe wegen; nein, sie weiß inzwischen glasklar, dass Felix weder heute noch morgen gesundheitlich in der Lage sein wird in die Fußstapfen des Großvaters zu treten, um wie geplant die Partei zu führen. So wird es bei von Reichenau bleiben, gesteuert von Andreas, der von Reichenau und Konsorten bis zum Ende begleitend beobachten wird um irgendwann die eitle Zufriedenheit der Nazis zu nutzen und die zu zerstören. Doch das wird fast wie von selber geschehen und braucht ihren Zuspruch nicht. Cap allerdings, - Cap ist ihr Hoffnungsträger. Dem hat sie eben als Zeichen seines unbedingten Vertrauens geraten dem Hassan- Clan eine Generalvollmacht auszustellen. Insofern liegt sein Leben ab jetzt in der Hand von Mafiosi in der Person von Hassan.
„Das ist doch so was wie eine Entmündigung!“
„Wenn du überleben willst, tust du, was ich dir sage!“


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Felix ist vom Teuflischen besiegt worden. Das Böse hat gewonnen ist aufgestanden, weg gegangen und hat ihn liegen gelassen. Nun kann er es verarbeiten wie er will, - findet wieder Zeit für die Musik. Und will dort den Erfolg. Doch das allererste ist, wenn er das Krankenhaus verlassen kann, seine Mutter zu besuchen. Dazu hat er zwei Stoffeulen besorgt; ähnliche hatte Mutter bei einem Liederabend einst von Freunden geschenkt bekommen „ ... un souvenir d'enfance!“ Dazu Blumen und gute Worte. Sechs Zugaben hatte sie. Vier Strauss Lieder. Zwei Lehár. Und diese beiden dann direkt aus den Noten gesungen. Alles bombastische Erfolge, auch wenn die Säle klein waren, wie bei einem Liederabend üblich; doch da war sie noch glücklich und fast frei von Krankheit. Jetzt ist Felix sich nicht sicher, wie sie auf den Tod vom Großvater reagieren wird. Er wird deshalb den Arzt vorher fragen und wenn es nicht möglich ist, überhaupt nichts von dem Tod des Mannes erwähnen; von wegen Freitod und so, das glaubt sowieso kein Mensch. Und Mutter? - Was würde die glauben?
„Ihre Mutter freut sich auf einen Liederabend; ist sich aber noch nicht sicher ob Liszt, Mahler, Duparc oder Richard Strauss“, sagt der Arzt, „also lassen Sie das mit dem Großvater, das ist wenig hilfreich!“
„Gut, dass Sie das sagen!“ Ist Felix glücklich. „Mir war bei dem Gedanken überhaupt nicht wohl.“ Und schon fühlt er sich in der Lage Doro sein Herz zu Füßen zu legen, seine Seele auf den Tisch des Hauses, sozusagen. Gelingt es ihm seine Melancholie abstreifen, die negative Imagination; unerfüllte Liebe, Tod, falsches Begehren, schlechtes Wetter; lacht, als Doro ihm sagt, wie sehr sie sich mit ihm freut als er Mahlers „Liebst du um Schönheit“ intoniert, was er zwar stimmlich beschränkt tut, sein Glück ihm aber förmlich aus den Knopflöchern zu springen scheint. Es fehlt ihm nur noch sein Kind endlich kennen zu lernen. Also stellt er sich die Frage, wann ein Tag ein Erfolg ist? Na wenn die Kritik nicht mäkelt; so geht das alte Spiel. Und Felix spielt es für sich noch ein wenig weiter, denn er ist sein schärfster Kritiker. Genau wie seine Mutter früher über sich, - die sich bei seinem Besuch über die Blumen und auch über die Stoffeulen freut, ohne die allerdings zuordnen zu können. Doch was bedeutet das schon. Doro ist dabei - und sie alle Drei können herzlich miteinander lachen. Was für ein Tag!


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Auf den Koordinaten 24° 39′ N, 46° 43′ O findet man Riad. - Riad ist die Hauptstadt vom Königreich Saudi-Arabien und liegt selten im Nebel. Doch als Riad dann mal im Nebel liegt, hat Lana ihren Mann vergiftet. Später sagt sie, dass es Zufall war mit dem Nebel. Andererseits hat sie schon lange auf Nebel gehofft, so einen wie damals in Deutschland, in Berlin, als kein Auto mehr fahren konnte, alle Flüge gestrichen wurden, Verkehr und Leben für einige Stunden total ruhte, - denn da konnte sie erstmals ihrer Familie entkommen und unbegleitet durch die Straßen von Neukölln laufen.

Lana war acht, als ihre Brüder sie wenig später aufgriffen, weit gekommen war sie nicht, und systematisch verprügelten. Erst schlugen sie sie mit allem was sie gerade hatten, Fäusten, Gürteln, Knien, Ellenbogen, traten sie mit Füßen, später prügelte der Onkel mit einem Stock auf sie ein, - der ihr bei der Rangelei zudem einen Arm brach, sie entjungferte. Doch nicht etwa deswegen hat sie in Riad um Nebel gebetet - um dadurch Kraft zu finden ihren Mann zu vergiften, den Schläger, Peiniger und Vergewaltiger, der sie wie ein Katzenjunges verbrennen wollte, erschlagen, ersäufen, der sie von anderen Männer benutzen ließ. Vorne, hinten, oben, unten.

Nun, das Riad im Nebel liegt ist sowieso extrem selten. Wesentlich öfter werden Männer vergiftet, die ihre Frauen misshandeln. Und so passt Lanas vergifteter Mann perfekt ins Bild, Nebel hin oder her. Zudem sich später herausstellte, dass der Nebel von einem Verkehrsunfall herrührte, die Bilder vom explodierenden Tanklastwagen nahe der Kaserne der Nationalgarde gingen um die Welt, wie die Fotos von zig verbrannten Menschen die ihre Arme gen Himmel reckten, ihre grauenvoll verkohlten Knochenschädel, entnommen der Nachricht aus der Zeitung Al- Hayat, dass es sich vermutlich um einen Anschlag gegen das Königshaus handeln würde. Doch da lag der Mann von Lana, wie bekannt einer aus der Bin Laden Sippe, schon einige Zeit auf der Intensivstation des Al Hammadi, East of Main Olaya Street Ecke North of Al Akaria während eine leichte Brise, so um die 38 bis 39 Km/h den Nebel zerstob und damit auch den grässlichen Gestank von verbranntem Öl und Menschenfleisch neutralisierte. Lanas Mann dagegen duftete nach Rosenöl, war frisch gesalbt und gewickelt. Während sie nach dem Schweiß der Haftanstalt El- Hair am Südrand von Riad stank. Und wie das Unglück so will, hat es auch im Knast El- Hair vor wenigen Tagen gebrannt; es wurde von 60 Todesopfern gesprochen. Doch so genau weiß das keiner, weil es einfach niemanden interessiert. Denn ob 60 oder 160, was soll das? Jedenfalls setzte der Innenminister eine Untersuchungskommission ein, um die Ursache des Brandes zu klären. Und als die nicht gleich zu klären war, verurteilte er Lana kraft seines Amtes und der Scharia ohne Gerichtsverfahren zum Tode. Übrigens, enthauptet wird in Riad auf einem öffentlichen Platz, es sei ein Blutgeld wird bezahlt, - falls die Hinterbliebenen des Opfers dem Täter vergeben und ein Blutgeld akzeptieren. - Doch noch war das Opfer ja am Leben, was sich aber auch rasch ändern ließe, wenn das Blutgeld hoch genug ausfallen würde ... Auch könne man dann über eine Begnadigung sprechen.
„Es kommt also nun auf Lanas Bruder an“, erklärt Doro.
„Um Gottes Willen - und mein Kind, wo ist Gadi? Ich weiß nicht mal mehr wie sie aussieht“, weint Felix. Und Doro kann ihn nicht beruhigen. Nicht heute. Nicht am nächsten Tag. Und das bleibt auch noch eine Weile so. Mindestens.


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Hassan will die Tochter seiner Schwester verheiraten.
„Jetzt schon?“
„Wann sonst, - sie ist schon eine richtige Prinzessin. - Sag mal, wie heißt die Kleine eigentlich?“ Fragt er.
„Gadi!“
„Ich werde sie Machmut schenken, dem Kinderficker. Der wird nach ihr ganz verrückt sein, wenn ich ihm das Foto zeige. Und nicht zuletzt ist der mir dann was schuldig!“
„Eine gute Idee, Pate! Aber dazu musst du das Kind ja erstmal nach Berlin holen.“
„Das läuft mit etwas Bakschisch über die königliche Botschaft. Sie kommt dann wie Diplomantengepäck ins Land und kann in Machmuts Haus wohnen und später, mit Acht, kann er sie richtig haben.“
„Und deine Schwester?“
„Lana? - Lana hat nur Schande über unsere Familie gebracht ... die soll da, wo sie ist, verrecken!“

Lana will aber nicht verrecken. Nicht hier - und nicht anderswo. Auch weil sie eine Kämpferin ist und am Leben hängt. Und sie will leben - um ihre Tochter zu beschützen. Dafür prostituiert sie sich. Um fliehen zu können. Zusammen mit ihrer Tochter nach Deutschland ... Und das hat Eile, denn erst gestern wurde sie von einem Text den sie als Klopapier fand erschreckt. Es ging in einem Prozess um ein fünfjähriges Kind. Das Mädchen war von ihrem eigenen Vater, einem saudischen TV-Prediger, vergewaltigt und verprügelt worden. Er brach ihr mehrere Rippen und zertrümmerte ihre Schädeldecke. Sie starb an den Folgen der Verletzungen. Und genau von dieser Angst um Gadi getrieben, will Lana eine Nachricht nach Deutschland senden; einen Brief schreiben - oder ein Telefonat führen. Will Felix erreichen. Den Einzigen, der ihr noch geblieben ist, denn die Signal ihrer Familie waren eindeutig. Und jetzt ist auch noch der Vater tot. Das macht es nicht einfacher. Weil schon ein Brief nach Deutschland Monate dauert. Und ein Telefonat unmöglich scheint. Auch deshalb will sie sich an das Deutsche Konsulat in Riad wenden. Und zwar über den Gefängniswärter, dem sie fast täglich einen blasen muss, der sie nun anal will - trotz Bluterguss, blauem Auge und schief geschlagener Nase - der schon aufgeregt seinen Schwanz befummelt, wenn er sie nur von weitem sieht, den beauftragt sie, den Botschafter anzurufen. „Embassy of the Federal Republic of Germany -, hörst du?! Aber pronto, Jamal! Und wenn der Botschafter da war, dann darfst du mich auch ...“ dabei wackelt sie anzüglich mit dem Hintern. Und Jamal, der schon sichtbar sabbert, nickt stumm - und zeigt im Weggehen mit dem Daumen die Geste des Halsabschneidens an ... Und Lana weiß. Ganz sicher weiß sie es; sie wird hier sterben. Und doch.


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Aus der Erfahrung um die ... die Welt ... skizziert, malt, komponiert, schreibt Felix. Ist Epos. Eine Oper. Ein Drama. Note im Gesang. Musical. Ein Leben. Fliegt als richtig fettes Dasein über ein tiefes inneres Dabei sein. Und das mit Tonleitern, Ausdrücken, in Farben, Bildern und Redewendungen, Handlungen, - alles in einer Brutalität die er echter vorher nicht kannte, die er nun selber in Erinnerung ist; auch wenn er sich (erst) sträubt. Doch ohne innere Rohheit trifft er den Ton nicht, bekommt keine Note aufs Papier, fließt nicht ein einziges Wort. Fehlt ihm der Zugang zu den rückwärts gewendeten Forderseiten. Zu den unteren Oberflächen. Den absoluten Hintergründen, - gelingt der Blick hinter die Fassaden nicht, der zur Intensität führt. Zum Schrei über vier Oktaven. Denn ja, ohne das Erinnern kann er nur die eine Seite des Instrument anschlagen, bleiben ihm die selbst gelebten Ängste und bizarren Phantasmen verborgen. „Und das wäre sehr schade“, meint auch Doro, die ihm helfen möchte; und so beginnt er in sich selber mit dem Anfang von Allem.


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Als Licht und Schatten sieht Felix zum Beispiel seine Mutter; al Andalus: buena suerte, wünscht er. Der Carmen. Als Ouvertüre. Allegro. Doch tatsächlich handelt es sich um eine Illusion, einen Stehblues auf Gitarre, weil vieles von dem, was im günstigsten Fall Tiefe gibt, in Schichten des Bewusstseins und der Erinnerung begraben liegt und sich so der unmittelbaren Kontrolle entzieht. Aber das weiß Felix. Nur, diese Art Wahrheit scheint ihm nach seinen jüngsten Erfahrungen noch profaner als alles andere. Und genau deswegen will er seine Mutter in gute Töne kleiden. In schöne Farben. Und Musik; Blues ... auch gut.


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„Ach, Mutter, du! Was haben mich die Menschen deinetwegen berührt. Mich, den nackten Stalaktiten zwischen frostigen Lichtern, der in großer Kälte zwischen den schwarz gefrorenen Blättern stand. Doch nie waren die auch nur in eine meiner Fasern richtig da, nicht in meinem Leben geborgen, dem Sein, denn das hält das Erdreich bedeckt, es ist noch nicht aufgestiegen, um als Sandkorn zu sein, noch waren die je ein Krumen Erde. Nein, keiner kann Leben ohne die Strahlenkrone, kann einfach so sterben auf den abgetragenen Stufen einstigen Glücks, einen heiligen Rosenstock in Händen. Doch wenn es so weit ist, hallt mein Ruf in die Weite, verkettet die Wolken, die hinab stürzen um in verstummten Wassern zu rühren, sprudelnd in der Zeit unendlichem Wirrsals: Mutter, ich liebe dich!“


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Und Gadi ist da, seine Tochter. Die auf den alt bekannten Koordinaten Riads zu finden ist, - oder schon in Berlin, in der Familie des Kinderschänders? Und er kann nichts dagegen tun.
„Sie müssen das so sehen“, erklärt der behandelnde Arzt Doro, „... sein Gehirn ist durch das Übermaß an Drogen vergiftet worden, um es mal primitiv auszudrücken. Und das braucht nun mal nun seine Zeit zum entgiften - wie die Leber eines Alkoholikers nach dem Entzug Erholung braucht. Ob das danach aber so wird wie es früher war ... mal abwarten!“, glimmt ein Licht der Hoffnung wie sein Denken an das Kind.
Gadi. „Ja, auch die Erde duftet noch frisch die vergangene Nacht, der Morgen ist so eben den Wassern am Horizont entstiegen. Um mich herum stehen Bäume, zusammengerollte schlafende Tiere - die wie mit Bleistift gezeichnet sind, Blätter, Blumen, Blütenstaub atmet. Am Wegende sehe ich Rispen im ewigen Schnee, so eben der Hölle entronnen, die mit den verschossenen Grasnaben zu reden scheinen. Vom Tal her winken tropische Blütenfäden, die im struppigen Dickicht Leben trinken. Tropfen von Tau. Ich ahne all derer Träume, Sehnsüchte, die am Platz, wo die Hengste in Liebesglut wiehernd rasten. Weißt du, ich beneide all diese frei geborenen Geschöpfe, die keine Namen haben, die wie Rauch sind, die so etwas wie Glocken tragen, um sich, vom Dunst entledigt, zu finden, die auf und abschwellen, sich schlingen, aneinander drängen, um dann Außer sich zu geraten, sich ausdehnen, schwebend scheinen, die sich ineinander verströmen, um sich dann in die Höhe zu strecken, zu wachsen, dahin wo Bäume Schutz bieten, wo in den Zweigen Tausende Ströme Duft fließen. Nur dort oben können sie sich in die auserkorenen Diamanten der Zeit reihen, mehr als das Salz der Erde sein, um in der Blätter Widerschein mit allen Schönheiten unter der Sonne um die Wette zu funkeln; es ist das Paradies, woher du stammst wie ich - und ich bin gemacht wie du aus diesen blauen Materialien vom Mars, aus Mondlicht, gemischt mit Kreide. Kalkstein. Granit. Materie, die sich in sphärischer Höhlung aneinander reibt, die in Strömungen fließt, wie Schlaf in einsamer Nacht, wenn das Herz im Traum weint, sich krampft, wie wild schlägt, um irgend etwas unentwegt zu durchmessen, zu durchbrechen, um in schwimmender Nacht voran zu treiben, sich in den Stunden des gedämpften Lichtes geheimnisvollen Bildern entgegen zu stemmen, wie um mir die Schwermut zu vertreiben, die mich hin zu den Stromschnellen führt, die zwar gebändigt scheinen, doch wild sind wie immer. Dort, auf dem Lauf aller Wasser, berühre ich wie früher die Rose, die noch nie erblüht, wandere zu einer Kathedrale aus Segmenten von Lava. Gestein, das von der Seele der Welt aus Tiefen aufgestiegen, das verbunden mit ewiglich ineinander gehäuften Muscheln, die mit blassen Rändern bedeutet, von schweren Augenlidern getragen, in einem Sturm von Würze, nun ruhen, die wie im Panorama der finalen Farben des Herbstes stehen.“


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„Du, Lana, Mutter unserer Tochter bist nun in dem der unbarmherzigen Sonne ausgesetzten Ort hilflos wie die Welt gegen den Menschen. Bist so gut wie tot. Wie ich bin. Und neben mir, in der Gasse ohne Zeit, bist du, von Leben und Leid und mir umgeben, von dem, der im gelben Laubbüschel einer Palme schläft wie der Tod. Und nur wenn du dich verkleidest, wirst wie er, kannst du ihn streicheln ohne bemerkt zu werden, und dann erlaubt er dir auf einer der goldenen Wellen zu schlafen, mit dem schönsten Tuch der Erde gewandet. Und dann wirst du keine Bitterkeit mehr spüren. Auch deine unendliche Trauer um Vergangenes ist dann verflossen, und die, die dir so viel nicht gesagt haben, die verschwiegen als Märtyrer starben, begegnen dir in sanfter Zärtlichkeit, versteckt wie einer Rose Dornen, diesen launischen Wechslern, die sich am Ende der Zeit mit duftendem Hauch ins Dunkel graben. Ich aber bin und bleibe, liege von Steinen umstellt, verkleidet mit einem Kostüm, das mich streichelt - und ich trotze der Trauer, werde Dinge meiden wie Tristesse, die mir schmeichelt. Ja, auch der Adler erhebt sich zu seinem letzten Flug stolz, sieht die geringschätzigen Dinge auf Erden. Verachtet blicklos geworden den Rosenstock, der sich an allem messen will, saugt den geheiligten Duft der letzten Blüte von irgendwo, so schmerzhaft das Warten, weiß er, es ist vorüber wie es begonnen. Doch ich hoffe. Und denke an dich. Und am Ende aller Tage, der Zeit deiner Ankunft, wird alles blühen wie nie. Sanftmut wird dem Zorn weichen, ausgelöscht werden die Schmerzen der Nacht, abgetragen ist dann das Gewand des Unglücks, und der Berg meiner Schuld wird sich mit dem Mond vermählen. Alles ist auf dem Weg, ist mehr als ein Gramm Hoffnung, über Zweifel und Befürchtungen erhaben, sonst könnte ich die alten Schmerzen nicht ertragen. So wird das Herz in Hoffnung voll, die Liebe niemals leer, bis dass du wieder gegangen bist, weit fort von mir, doch nie aus meiner Seele. Weit weg von mir und doch so nahe wirst du in die Ebenen sinken, von Geist und Beschaffenheit verlassen, nur die Moosflechte wird deinen Namen kennen. Und ich. Ich. Ich trage dich auf immer in meinem Herzen. Doch in bin nicht Gott. Nicht eins mit ihm. Auch nicht sein Teilhaber. Auch deswegen werde ich nicht mehr zeugen, wie er mich nicht gezeugt hat in all dieser Schuld. Ich muss um dich weinen. Unendlich weinen ... Ich liebe dich!“


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„Wir holen uns Gadi und verlassen Deutschland ... wir könnten nach Israel gehen. Wärst du einverstanden?“
„Ja!“
„Wir wohnen dann in Tel Aviv ... und wenn du willst - und sie will, kannst du deine Mutter nachkommen lassen ... es gibt da hoch qualifizierte Spezialisten “
„In Tel Aviv?“
„Ja. Und nicht weit davon liegt Ramat Gan. Du kannst dort bei Jonathan Livny und Asher Fish an der Bar- Ilan- Universität dein Studium abschließen und ...“
„Was, bei dem Wagner- Liebhaber- Livny? Das ist ja großartig; und wann geht’s los?“
„Nur ein paar Tage noch ... ich habe noch einiges zu regeln ...“
„Ich weiß schon ... ach, ich liebe dich!“


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Für Mafia gibt es kein Wort in Deutsch. Nicht für Hassan. Doch ein Mörder ist ein Mörder. Oder ein perverser Killer. Wie Hassan. Der nun die Haare Blond und kurz geschnitten trägt. Einen scharf rasierten Anflug von Bart. Der sein Äußeres verändert hat und so als harmlos durchgehen möchte. Ein lächerliches Bild im Versuch. Aber absolut unschädlich, - so freundlich und normal. Als trüge er in sich keine Geschichte von alles erstickendem Schwarz. Oder jetzt einen Sack über dem Kopf, unter dem das Atmen schwer fällt; sein Stöhnen kaum zu hören ist. Dazu sein verdeckter Blick, - also wenn man den sehen könnte; der voller Hass mit Angst gepaart, als wäre er in Tommy Angelos Todeshaus zu Gast. Ängstlicher hassen sah man Hassan nie. - Schon das Tuch seiner Gedanken, sein orangefarbener Overall erinnern an den Anschlag auf das World Trade Center. Jeder weiß um die Bilder. Die Punkte auf dem Schirm, die Unmengen von Staub - wenn alles Leben zerfällt. Jeder Traum über Freiheit und Gleichheit sich über Jahrzehnte hin verbietet. Zu sehen sind Menschen, die betend vor einem Zaun knien, - still weinen. Dazu Musik erklingt. Erst leise. Dann einzelne Töne in Intervallen, die stärker werden, höher - höher, sich wiederholen. Schriller. Lauter. Bis die Trommelfelle platzen. Genau so klingen in der Verhörzelle ganze Lieder durch die Nacht. Abstrakte Tonfolgen eine Woche lang. Rock’n Roll eines Monats. Folternde Präsenz von Jahren im Hass. Veränderungen bewirkend. Wie das pure Grauen. Und immer die gleiche Melodie in irre machender Lautstärke. Zusätzlich Faustschläge. Fußtritte. Würgen. Aufhängen. Schaukeln. Wippen. Untertauchen. Kotzen im Ersticken. Folter, sagt man lapidar. Vor allem das ... Dabei ist es für Hassan eine Premiere Anfang Mai, - die aber nicht dauern wird. Nicht mal eine Spielzeit. Eine Woche. Nicht viel mehr als einen Tag, da dem Hauptdarsteller die Puste ausgeht. Weil sie dem ’guten’ Hassan die Luft abdrehen. Den Lebenssaft. Einfach so. Wie auf Knopfdruck. In einem gekachelten Raum, wo es schön kühl ist. Damit es nicht gleich so stinkt wenn er... Klar. Ist doch Ehrensache. Nach Art der Mafia - eben, jappst Hassan, der durch Ketten fixiert blutend am Boden liegt. Dann wieder kopfüber hängt, der sich vor Schmerzen erbricht. Und nach dem der letzte Fingernagel und sämtliche Zehennägel gezogen, die Zähne ausgerissen, seine Augen neben ihm auf dem Boden liegen, die Nase abgeschnitten, die Ohren, sein Genital ihm aus dem blutigen Maul hängt ... schleifen sie ihn mit einem Tuch um die Hüften auf den Hof, wo fünf verurteilte Tottreter ihre eigene Strafe verkürzen wollen. Staubwolken tanzen um Hassans blutigen Schädel. Fliegen sitzen auf ihm. Doch keine zwei Minuten später steckt er bis zum Hals eingegraben im Boden und der Reigen beginnt. - Jeder der fünf Männer hat fünf Tritte. Bei Erfolg reduziert sich ihre Haft um fünf Monate.
Schon sammeln sich johlende Häftlinge für das Schauspiel an den Fenstern zum Hof. Ist es doch Unterhaltung und Warnung zugleich, jemanden öffentlich zu töten. Doch manch einer von denen ist dieser Art wöchentlicher Unterhaltung längst müde, - die wünschen sich Löwen, Tiger, Gladiatoren, den Kampf Mann gegen Mann um einen Schimmer von Versprechen auf Freiheit zu haben. Nur Lana nicht.
Lana steht, von den Füßen bis zum Kopf schwarz verhüllt, am Fenster des Büros vom Anstaltsleiters von El - Hair. Neben sich ein einst bulliger Mann, der sie durch Heirat kaufte - und den sie in einem Anfall von Wut vergiftet hat... Dessen anderes unbestrittenes Eigentum (in Form des Kindes - dessen Name er nicht mal weiß) von ihrem Bruder Hassan gestohlen und außer Landes geschafft wurde; weswegen der nun sterben muss.
Als der Erfolg da ist, es braucht nur einige wenige wuchtige Tritte bis die Menge den Tod skandiert, karren die Knastwächter Hassans Leichnam in die Wüste hinter Riad. Mit einem guten Fernglas kann man ihn vom 300 Meter hohen Kingdom Tower liegen sehen. Es gibt hier tausende gute Ferngläser und fast eben so viele Gaffer ... schon weil der Vater von Hassan ein Freund der Familie Saud war, wenn man so will. Und da die Luftfeuchtigkeit sehr gering ist, in der Regel um die 10 %, wird Hassans Torso sich wohl lang halten. Es sei, König Abdull bin Abd al-Aziz Saud begnadigt ihn für eine islamische Bestattung. Oder die handzahmen Hyänen des Bürgermeisters von Riad bleiben eines Morgens ohne Frühstück. 

"Mit dem Tod habe ich nichts zu schaffen. Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht." - Epikur
Zu Teil 1, dem Anfang mit 110 Seiten geht es hier --->

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